Riskante Nächte
Ich war wegen des Miltons hier.«
Digby starrte ihn an. »Ich erinnere mich sehr gut an Sie. Was machen Sie hier?«
»Ich bin auf der Suche nach Mrs. Bryce. Haben Sie sie gesehen?«
»Heute nicht, Gott sei’s gedankt. Ich hatte genug Ärger.«
»Sie haben ihr heute Nachmittag eine Nachricht geschickt.«
»Ich habe nichts dergleichen getan.«
»Sind Sie da sicher, Sir?«
»Natürlich bin ich sicher.« Digby schaute mürrisch drein. »Ich hatte keinen Grund, ihr eine Nachricht zu schicken.«
»Und Mrs. Bryce ist ganz gewiss nicht gegen fünf Uhr heute Nachmittag hier vorbeigekommen?«
»Ich habe Ihnen doch schon gesagt, dass sie nicht hier war. Und jetzt gehen Sie bitte, Sir. Ich fühle mich nicht wohl.«
»Sind Sie krank?«
»Nicht im Moment.« Digby legte eine Hand auf seine Stirn und sah besorgt aus. »Zumindest glaube ich das nicht. Vorhin war mir etwas schwindelig zumute. Weiß nicht, was passiert ist. Muss wohl ohnmächtig geworden sein. Bin auf dem Fußboden im Hinterzimmer zu mir gekommen. Daraufhin habe ich entschieden, dass es das Beste wäre, mich ins Bett zu legen.«
»Waren Sie längere Zeit bewusstlos?«
»Ja. Rund eine halbe Stunde.«
»Wann sind Sie wieder zu sich gekommen?«
»Na hören Sie, ich habe doch nicht auf die Uhr geschaut.« Digby wedelte ärgerlich mit der Hand. »Ich schätze, es muss kurz nach fünf gewesen sein.«
»Dürfte ich mich in Ihrem Hinterzimmer umsehen, Mr. Digby?«
»Warum?« Digbys Miene verdüsterte sich argwöhnisch.
»Ich mache mir Sorgen um Mrs. Bryces Wohl.«
»Da müssen Sie sich anderswo umsehen. Ich habe Ihnen gesagt, dass Sie heute nicht hier war.«
»Es dauert nur einen Moment«, versicherte Anthony ihm.
Er ging ins Hinterzimmer des Ladens und drehte die Flamme einer Lampe höher.
»Jetzt gehen Sie aber zu weit, Sir«, winselte Digby vom Kopf der Treppe. »Sie können doch nicht einfach hier hereinkommen und alles auf den Kopf stellen!«
Anthony schenkte ihm keine Beachtung. Er betrachtete das unordentliche Hinterzimmer mit wachsendem Unbehagen. Ein Bücherkarton lag umgekippt auf dem Boden. Es sah aus, als wäre er mit einem Tritt umgestürzt worden. Anthony ging auf den Karton zu, blieb aber stehen, als er auf dem Fußboden einen Handschuh entdeckte. Eine eisige Faust schloss sich um sein Herz. Er hob den Handschuh auf.
»Was haben Sie da?«, rief Digby von der Tür aus. »Das sieht ja aus wie ein Damenhandschuh.«
»Das ist ein Damenhandschuh.«
»Wie ist der dahin gekommen?« Digby wirkte ebenso verärgert wie verwirrt. »Ich bin der Einzige, der diesen Raum betritt.«
»Eine ausgezeichnete Frage.« Anthony ging suchend zwischen den Kartons umher und entdeckte ein zerknülltes Taschentuch. »Gehört das Ihnen, Mr. Digby?«
Digby kam widerstrebend näher, um das Tuch genauer in Augenschein zu nehmen. »Nein. Ich benutze keine fein bestickten Taschentücher. Das sieht mir eher wie das Taschentuch eines Gentleman aus.«
Das Taschentuch verströmte einen schwachen, süßlichen Geruch. Das war kein Parfüm, überlegte Anthony. Es dauerte einen Moment, bis er den Geruch erkannte. Aber dann überrollte ihn eine Welle der Angst und drohte ihn fortzureißen.
»Ich glaube, ich weiß, was für Ihren Ohnmachtsanfall heute Nachmittag verantwortlich war, Digby«, sagte er. »Jemand hat Sie mit Chloroform betäubt.«
»Teufel aber auch, sind Sie da sicher?«
Anthony wollte gerade antworten, als er den Muff bemerkte. Er lag neben der Hintertür auf dem Boden.
Das Blut gefror ihm in den Adern. Er hob den Muff auf. Das Notizbuch und der Bleistift steckten noch darin.
Ihm fiel Mrs. Galts Bemerkung über Louisas Besuch in der Swanton Lane ein. Er blätterte im Notizbuch und schlug den letzten Eintrag auf.
Das Erste, was er sah, war der Name. Quinby. Daneben war ein kleiner Pfeil, der zu einem anderen Namen zeigte: Madame Phoenix.
Zwanzig Minuten später klopfte er an der Hintertür des kleinen Hauses in der Swanton Lane.
Eine Frau mit strengem Gesicht starrte ihn durch ein Eisengitter hindurch an.
»Gentlemen haben in diesem Haus keinen Zutritt«, erklärte sie.
»Mein Name ist Stalbridge. Anthony Stalbridge. Ich bin ein enger Freund von Mrs. Bryce. Ich befürchte, sie befindet sich in Lebensgefahr. Ich brauche Ihre Hilfe.«
45
Louisa machte einen Schritt rückwärts und wich aus dem Licht, das durch die Öffnung in der Tür fiel, tiefer in die Dunkelheit der Zelle zurück. Auch sie konnte sich geheimnisvoll geben, dachte sie bei
Weitere Kostenlose Bücher