Riskante Naehe
konnte ein paar Tage Ruhe dringend brauchen. Bitte, Clint, sei da! Aber zuerst musste sie jetzt ein Telefon finden und sich bei ihrer Arbeitsstelle melden. An der Wand in geringer Entfernung zu den Sitzreihen entdeckte sie eines. Karen humpelte schnell darauf zu, damit ihr nicht noch jemand zuvorkam. Sie warf einen Dollar in den Schlitz und wählte aus dem Kopf die Nummer ihrer Kollegin Gina. »Geh ran, geh ran, geh … Oh, hallo Gina! Ich bin es, Karen.«
Ein Aufschrei drang durch den Hörer. »Karen, Gott sei Dank! Wir haben dich schon überall gesucht. Wo bist du? Wie geht es dir?«
Karen lachte. »Es geht mir gut, zumindest den Umständen entsprechend. Hör zu, Gina, ich möchte gerne ein paar Tage Urlaub nehmen, ab sofort.«
»Aber wieso? Was ist passiert?«
Karen seufzte. Gina würde sich nicht ohne Erklärung abspeisen lassen. »Ich hatte gestern einen kleinen Unfall.« Ginas erneuter Ausruf unterbrach sie. »Es geht mir so weit ganz gut, aber ich bin etwas angeschlagen und möchte gerne freinehmen. Würdest du das bitte weiterleiten?«
»Aber wo bist du? In einem Krankenhaus?«
»Nein. Ich fahre für einige Zeit weg.«
Gina schwieg. Dann räusperte sie sich. »Wieso weiß Paul dann nicht, wo du bist? Er hat hier heute Morgen angerufen und gefragt, ob du da bist. Was geht hier vor?«
Karen wurde kalt. »Paul soll nichts davon erfahren. Bitte sag ihm nicht, dass ich mich gemeldet habe, okay?« Als Gina weitere Fragen stellen wollte, schnitt Karen ihr das Wort ab. »Bitte, Gina, es ist wirklich wichtig. Ich kann es dir jetzt nicht erklären, aber Paul darf einfach nicht wissen, dass ich mich gemeldet habe. Bitte, Gina!« Sie fuhr beschwörend fort. »Ich erzähle dir alles, sobald ich kann. Im Moment ist es lebensnotwendig, dass niemand erfährt, wo ich bin. Machst du das für mich?«
Gina seufzte. »Okay. Ich werde einen Urlaubsantrag für dich unterschreiben und abgeben. Und ich weiß von nichts. Pass auf dich auf!«
Karen traten Tränen in die Augen. »Danke, Gina, das werde ich. Bis bald!« Damit legte sie auf. Erschöpft ließ sie ihre Stirn an das Telefon sinken.
»Geht es Ihnen nicht gut?«
Erschrocken wirbelte Karen herum. Hinter ihr stand ein älterer Mann, der sie besorgt ansah. Sie brachte ein wackeliges Lächeln zustande. »Doch, es geht mir gut. Danke.« Damit hob sie den Rucksack auf, den sie auf dem Flughafen Richmond gekauft und gegen die Plastiktüte getauscht hatte, und verschwand im Gedränge.
Als sie an einem Buchladen vorbeikam, ging sie spontan hinein. Sie war in den letzten Jahren nicht mehr viel zum Lesen gekommen, jedenfalls nichts, was nicht zu ihrem Fach gehörte. Sie musste sich eingestehen, dass sie vieles nicht mehr getan hatte. Wo war der Spaß in ihrem Leben geblieben? Sie kannte nur noch ihre Arbeit. Ratlos stand sie vor dem gut gefüllten Bücherregal. Welches Buch war gut? Ein Blick auf die Uhr zeigte ihr, dass sie nicht mehr viel Zeit hatte, wollte sie ihren Anschlussflug nicht verpassen. Sie ging am Regal entlang und scannte über die Namen und Titel.
Da! Sie nahm das Buch herunter und blickte es genauer an. Shannon Hunter. An dem Namen konnte sie wirklich nicht vorbeigehen. Ein leichtes Lächeln überzog ihr Gesicht. Sie drehte das Buch um und las den Text auf der Rückseite. SEAL-Team, Mission, Gefahr, Attentat. Ja, das klang nicht schlecht. Kurz entschlossen nahm sie das Buch mit zur Kasse und bezahlte es. Immer noch lächelnd steckte sie es in ihren Rucksack. Dann machte sie sich auf den Weg zu ihrem Flugsteig.
Unterwegs widmete sie sich auf der Damentoilette noch einmal ihrem Make-up. Trotzdem sah sie mehr als krank aus. Es war erstaunlich, dass sie überhaupt in ein Flugzeug gelassen wurde. Seufzend fuhr sie mit der Bürste durch ihre zerzausten Haare. Dabei blieben die Noppen in ihrer Halskette hängen. Verdammt! Ungeduldig machte sie sie los. Im Spiegel fiel ihr Blick auf das Medaillon. Sie wurde kalkweiß. In all der Aufregung hatte sie den Sender vergessen, der in ihrer Kette versteckt war.
Solange sie den Sender trug, wusste jeder ganz genau, wo sie sich gerade befand. Ohne Zögern löste sie den Verschluss und warf die Kette in eine Toilette. Mit grimmiger Miene betätigte sie die Spülung und beobachtete, wie das Medaillon verschwand. Wenn diese seltsamen Krieger Gottes von Paul Daten bekommen hatten, kannten sie vielleicht auch den Ortungscode des Transponders in ihrer Kette. Ihr war klar, dass die Regierung jetzt noch fieberhafter nach ihr
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