Riskante Versuchung
„Nein“, antwortete sie schließlich. „Ich habe Pete schon lange nicht mehr gesehen.“ Das war keine Lüge, wenn es auch nicht ganz der Wahrheit entsprach.
„Wenn Frank aus Atlanta zurückkommt, werde ich ihn bitten, weiterhin in meinem Apartment zu übernachten, bis du einen Nachmieter für mich gefunden hast“, erklärte Rob.
Jess konnte ihre Überraschung nicht verbergen. „Frank Madsen?“
Rob sah ihr nicht in die Augen. „Genau.“
Jess schwieg und erinnerte sich an Robs Eifersucht auf Frank im Rose Café.
„Frank wird bleiben, wenn du es willst“, sagte er. „Er ist kein schlechter Kerl.“
„Du meine Güte“, sagte sie. „Ich kann nicht fassen, dass du das tust.“
„Ich möchte, dass du in Sicherheit bist.“
„Ich brauche keinen Mann um mich herum, um in Sicherheit zu sein“, konterte sie.
„Mag sein. Ich würde mich aber besser fühlen“, erklärte Rob.
„Du würdest dich besser fühlen?„, wiederholte Jess. “Du bist doch derjenige, der einfach geht. Wenn du dir solche Sorgen um mich machst, dann bleib und ‚beschütze‘ mich selbst.“
„Das kann ich nicht.“ Rob streckte die Hand nach seinen Sachen aus, doch Jess nahm sie vom Bett und drückte sie fest an sich, als wollte sie sie nicht hergeben. Sie sah ihm in die Augen und las sowohl Traurigkeit als auch Resignation in ihnen. Rob würde wieder einmal gehen.
„Ich sollte jetzt lieber aufbrechen“, sagte er.
„Nein, du solltest bleiben.“ Sie konnte den Schmerz nicht aus ihrer Stimme verbannen. „Bleib heute Nacht bei mir.“
Er setzte sich neben sie auf das Bett, als sei er plötzlich erschöpft und müde. „Das geht nicht.“
„Ständig sagst du, es geht nicht und du kannst nicht“, erwiderte Jess. „Aber ich sage, du kannst.“
Mit einem tieftraurigen Ausdruck in den Augen sah er sie an. „Ja, ich kann über Nacht bleiben“, räumte er ein. „Aber ich kann nicht für immer bleiben. Ich würde gern, aber es geht nicht.“ Für einen Moment schloss er die Augen, so als müsse er seine Kraft, seinen Mut sammeln. „Jess, ich habe schreckliche Dinge getan. Dinge, für die es keine Vergebung gibt.“
Der Sarasota-Serienmörder ist ein Mann zwischen fünfundzwanzig und fünfundvierzig Jahren, zur oberen Mittelschicht gehörend …
„Erzähl mir davon“, bat sie mit Herzklopfen. Was hatte Rob Schreckliches getan?
„Das kann ich nicht.“
Schon wieder ein „Ich kann nicht“. „Doch, du kannst“, widersprach sie ihm frustriert. „Mach einfach den Mund auf und sag es mir …“
„Ich kann nicht!“ Rob hob wütend und verzweifelt die Stimme, sodass Jess unwillkürlich zusammenzuckte. „Es tut mir leid“, fügte er sofort hinzu. „Ich wollte nicht laut werden. Ich finde das alles genauso unerträglich wie du. Es bringt mich um, Jess.“
Er reist viel und verhält sich unauffällig … Parker Elliot hatte Rob beschrieben. Alles passte haargenau.
Rob beugte sich vor, stützte die Ellbogen auf die Knie und den Kopf in die Hände. Er war angespannt - das verriet seine ganze Haltung -, wirkte elend und gequält.
Aber er war kein Serienmörder. Jess glaubte das einfach nicht. Sie konnte es nicht glauben. Und doch litt er ganz offensichtlich Höllenqualen. Was immer er auch in der Vergangenheit getan haben mochte, es peinigte ihn. Tränen füllten ihre Augen. Wie konnte er sich selbst jemals verzeihen, wenn er nicht darüber sprach?
Jess berührte ihn leicht an der Schulter. „Wenn du so weit bist, darüber zu sprechen“, sagte sie sanft, „ werde ich bereit sein, dir zu verzeihen.“
Er sah sie an, und ein Laut, halb Lachen, halb Schluchzer, entrang sich seiner Kehle. Er zog sie an sich und vergrub das Gesicht an ihrem Hals. „Womit habe ich dich nur verdient?“
Jess hielt ihn in den Armen, strich über sein weiches Haar und tat, was sie konnte, um ihm Trost zu spenden und den Schmerz zu nehmen.
Doch er löste sich gleich wieder von ihr. „Genau darum geht es, nicht wahr?“ Seine Augen waren gerötet und müde. „Ich verdiene dich eben nicht, und deshalb muss ich dich aufgeben. Ich bezahle für meine Sünden. Ich kann gehen und mich für den Rest meines Lebens selbst hassen. Oder ich kann bleiben und dich in Gefahr bringen.“
„Gefahr?“
Rob betrachtete sie, als überlege er, ob er es ihr erklären solle oder nicht. „Es gibt Leute, die nach mir suchen“, sagte er schließlich. „Ich kann nicht zulassen, dass sie mich finden.“
Serienmörder fühlen sich oft unzulänglich
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