Riskante Versuchung
antwortete sie aufrichtig.
Er glaubte ihr nicht. „Das Überwachungsteam berichtet, Carpenter sei gegen sieben Uhr zusammen mit Ihnen und Kelsey nach Hause gekommen.“ Er klang genervt. „Also war er hier. Niemand sah ihn weggehen. Wohin ist er verschwunden?“
„Ich weiß es nicht.“
Durchdringend sah Elliot sie an. „Haben Sie ihm von unseren Ermittlungen erzählt?“
Sie konnte nicht lügen. „Ja.“
„Wann?“
„Erst heute“, sagte sie. „Heute Abend.“
„Und jetzt ist er weg.“ Elliot erhob sich. „Wann hat er das Haus verlassen?“
Jess schaute zu ihm hoch. „Wann sind Sie gekommen?“
„Um halb neun.“
„Dann ist Rob um fünf Minuten vor halb neun gegangen“, erklärte Jess. „Er wollte nach draußen, um etwas zu holen, das Kelsey bei der Schaukel hatte liegen lassen.“
„Fünf Minuten.“ Elliot schüttelte den Kopf und presste die Lippen aufeinander. „Wenn Sie uns das gleich gesagt hätten, wären wir in der Lage gewesen, ihn einzuholen. Ich sollte Sie wegen Beihilfe verhaften.“
Er wandte sich zum Gehen, drehte sich aber noch einmal zu ihr um. „Ich kann nur für Sie hoffen, dass heute Nacht keine weitere Frau stirbt, Miss Baxter.“
16. KAPITEL
Jess schob den Einkaufswagen hinaus auf den Parkplatz und lud ihre Tüten mit den Lebensmitteln in den Kofferraum ihres Wagens.
Na bitte, dachte sie. Ich funktioniere. Wer würde schon darauf kommen, dass ich gestern Abend erfahren habe, dass der Mann meiner Träume wegen Mordes von über einem Dutzend unschuldiger junger Frauen vom FBI gesucht wird?
Aber Rob konnte das einfach nicht getan haben.
Und genau diese Überzeugung hielt sie aufrecht. Sie weigerte sich, zu glauben, dass Rob fähig war, einen Menschen zu ermorden. Er war nicht der gesuchte Killer. Er durfte es nicht sein.
Die eigentlich ganz offensichtliche Antwort war ihr mitten in der Nacht eingefallen.
Ian hatte sich Robs Wagen geliehen.
Natürlich, so musste es gewesen sein. Alles lief auf Ian hinaus.
Jess hatte Parker Elliot um drei Uhr morgens angerufen, um ihm das mitzuteilen. Er klang sofort alarmiert und hellwach, im Hintergrund waren Stimmen zu hören, als herrsche um diese Uhrzeit noch reger Betrieb in seinem Büro.
Was sie über Ian zu sagen hatte, nahm er jedoch gelassen auf - ein bisschen zu gelassen. Es war offenkundig, dass er nicht daran glaubte, Ian könne der Mörder sein. Rob galt nach wie vor als Hauptverdächtiger.
Sie hatten sich für halb elf am Vormittag verabredet. Elliot wollte Jess abholen und mit ihr zum FBI-Hauptquartier fahren, wo sie mit Dr. Haverstein sprechen konnte.
Jess wusste, dass Elliot hoffte, die Psychologin würde sie zur Vernunft bringen können. Jess hingegen wollte Selma Haverstein davon überzeugen, dass nicht Rob der Mann war, nach dem sie suchten, sondern Ian.
Doch bis halb elf hatte Jess die Wahl gehabt, entweder untätig zu Hause herumzusitzen oder - wie jeden Donnerstag - die Einkäufe zu erledigen.
Und jetzt musste sie die Lebensmittel möglichst schnell nach Hause bekommen, bevor die Eiscreme schmolz.
Vor ihrem Haus parkten noch immer große dunkle Wagen - so unauffällig, dass man sie nicht sofort als Polizeifahrzeuge identifizieren konnte. Ein silbergrauer Acura Legend stand in der Auffahrt. Wahrscheinlich Elliots Wagen.
Jess drückte den automatischen Toröffner und fuhr, ohne anzuhalten, ihren Wagen in die Garage. Sie stellte den Motor aus und drückte ein zweites Mal den Knopf auf der Fernbedienung. Geräuschvoll schloss sich das Tor.
Herr im Himmel, dachte sie, bitte lass mich diesen Tag irgendwie überstehen. Und hilf mir, die Polizei zu überzeugen. Rob ist nicht der Mörder. Er kann es nicht sein.
In der Garage war es dunkel und schwül. Jess schloss die Fenster, damit der modrige Geruch sich nicht im Wagen ausbreitete. Als sie ihre Handtasche vom Beifahrersitz nehmen wollte, hörte sie einen Laut.
Erschrocken sah sie in den Rückspiegel und entdeckte in dem Dämmerlicht die Umrisse einer Gestalt.
Jess wollte schreien, doch eine Hand hielt ihr den Mund zu.
„Ich bin es!“
Rob.
Mit einem erleichterten Schluchzer schlang sie die Arme um ihn und drückte ihn an sich, so fest das in dem kleinen Wagen möglich war.
„O Rob“, hauchte sie. „Geht es dir gut? Wo bist du gewesen? Wo kommst du jetzt her?“
Sie betrachtete sein Gesicht. Er sah schmutzig und erschöpft aus, die Augen gerötet und mit dunklen Ringen. Er war blass, und in dem schwachen Licht wirkte seine Haut beinah grau.
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