Riskante Versuchung
Die Ärmel seines weißen Hemdes waren abgerissen, und es war fleckig und verschwitzt.
„Ich hatte gehofft, dass du heute Morgen zum Supermarkt fahren würdest“, erklärte er müde. „Obwohl Donnerstag ist, war ich mir nicht sicher, dass du auch tatsächlich einkaufen gehst. Aber dann habe ich deinen Wagen auf dem Parkplatz entdeckt und mich hinten drin versteckt. Jess, glauben die wirklich, ich hätte all diese Frauen umgebracht?“
Sie nickte.
„Warum?“ Fassungslos runzelte Rob die Stirn. „Welche Beweise haben sie denn?“
„Man hat Blutflecken im Taurus gefunden - im Kofferraum“, berichtete sie. „Und Fasern oder so was im Wagen. Stofffasern, glaube ich, von der Kleidung eines der Opfer.“
Rob lehnte sich zurück. Seine Miene wirkte angespannt, während er angestrengt nachdachte.
„Du solltest dich stellen“, drängte sie ihn. „Du bist unschuldig, das alles ist offenbar ein Missverständnis. Ian hat sich doch deinen Wagen geliehen …“
Er sah ihr in die Augen. „Ich kann mich nicht stellen.“
„Warum nicht?“
Er wandte den Blick ab und beantwortete ihre Frage nicht. „Es tut mir leid.“ Er stieß leise wütende Verwünschungen aus. „Ich weiß, ich hätte nicht herkommen sollen, aber ich konnte nirgendwo sonst hin. Ich wurde angeschossen …“
„Was? Um Himmels willen …“ Jess sprang aus dem Wagen und riss die hintere Tür auf. „Wo?“
Er zeigte auf sein linkes Bein. „Es ist nicht schlimm, nur ein Kratzer. Das Blöde ist nur, dass ich das Gleichgewicht verloren habe, als die Kugel mich traf, und ich mir dadurch die Bänder gezerrt habe“, erklärte er. „Ich kann kaum laufen. Ich brauche einen Ort, an dem ich mich für ein paar Tage verstecken kann …“
Sie sah die Blutflecken auf seiner Jeans. Er hatte die Ärmel seines Hemdes benutzt, um sich einen provisorischen Verband anzulegen, den das Blut längst braun verfärbt hatte.
Angeschossen . Er war angeschossen worden.
Seine sacht auf ihrem Haar ruhende Hand veranlasste sie, aufzusehen.
„So schlimm ist es nicht“, wiederholte er.
Sie schluckte. „Ist die Kugel …“ Sie konnte die Frage nicht zu Ende formulieren, doch er antwortete trotzdem.
„Nein, sie steckt nicht drin.“
Was sollte sie tun? Einem Flüchtigen Unterschlupf zu gewähren war übel. Wenn sie ihn erwischten, konnte Jess dafür ins Gefängnis wandern.
Eins nach dem anderen, sagte sie sich. Fangen wir mit den kleineren Problemen an und arbeiten uns dann langsam zu den großen vor. Zuerst mussten Robs Wunden gereinigt werden, dann musste er etwas essen und sich ausruhen.
„Komm“, sagte sie, „ich helfe dir ins Haus.“
Vorsichtig stieg er aus dem Wagen und stützte sich schwer auf sie, als sie ihm auf dem Weg durch den Keller half und von dort die Treppe hinauf ins Haus. Sein Gesicht war angespannt, offenbar musste er die Zähne zusammenbeißen. Die Schmerzen mussten schlimmer sein, als er zugab.
Sie brachte ihn in ihr Schlafzimmer und half ihm, sich auf die Kommode zu setzen. Seine Stirn war schweißnass, seine Kiefermuskeln arbeiteten. Doch in seinen braunen Augen lag ein dankbarer Ausdruck, als er sie ansah.
„Wo ist deine Brille?“, wollte sie wissen, während sie ein sauberes Handtuch und einen Waschlappen aus dem Wäscheschrank nahm.
„Ich habe keine Ahnung.“ Rob schüttelte den Kopf. „Einfach weg.“
„Kannst du denn ohne sie ausreichend sehen?“ Jess fand unter dem Waschbecken eine Packung Mullverbände.
„Ja, das ist kein Problem.“
Sie nahm ihr Schweizer Messer aus der Handtasche, klappte die winzige rasiermesserscharfe Schere heraus und fing an, den provisorischen Verband von Robs Oberschenkel abzuschneiden.
„Wer hat auf dich geschossen?“, fragte sie.
„Ich weiß es nicht. Irgendein Kerl in dunklem Anzug. Ich vermute, er war vom FBI. Seine Verstärkung kam zu spät, sonst wäre ich höchstwahrscheinlich … Ah!“
Robs Knöchel traten weiß hervor, als Jess die letzte Verbandsschicht abwickelte.
„Tut mir leid“, murmelte sie.
„Schon gut, alles in Ordnung“, versicherte er ihr, doch er war noch ein wenig blasser geworden. Schweißperlen standen auf seiner Stirn.
Die Kugel hatte einen ausgefransten Riss in der Jeans hinterlassen, und Fetzen des Denimstoffes waren in die hässlich aussehende Wunde gedrungen. Das Säubern würde mehr Zeit in Anspruch nehmen, als Jess gedacht hatte. Sie schaute auf die Uhr. Viertel nach zehn. Verdammt.
„Ich soll mich um halb elf mit einem der FBI-Agenten
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