Riskante Versuchung
würde das ja wirklich gern mit dir besprechen, aber das geht leider gerade nicht. Ich muss Kelsey abholen und …“
„Was gibt es da noch zu besprechen.“ Wütend funkelte er sie an. „Ich habe verloren. Wieder einmal.“
„Es tut mir leid …“
„Nein, tut es nicht …“
„Wenn sie sagt, dass es ihr leidtut, dann tut es ihr leid.“
Frank erstarrte und sah an Jess vorbei.
Langsam drehte sie sich um und entdeckte Rob im Türrahmen. Er hatte die braunen Kontaktlinsen wieder eingesetzt und trug seine Jeans. In ihrer Kommode hatte er eines ihrer zu großen T-Shirts gefunden, dazu ihr ebenfalls übergroßes Kapuzensweatshirt. Beides hatte er statt seines zerrissenen Hemdes angezogen. Rasiert war er hingegen nicht, und seine zwei Tage alten Bartstoppeln wirkten im Wohnzimmerlicht beinah rötlich.
„Sieh mal an“, sagte Frank. „Wen haben wir denn da. Hätte ich mir ja denken können, dass du hier irgendwo herumlungerst.“
„Setz dich, Frank“, befahl Rob ruhig.
Frank war fast zehn Zentimeter größer als Rob und schätzungsweise dreißig Kilo schwerer. Er machte einen Schritt vorwärts, seine Haltung wirkte bedrohlich. „Nein.“
Rob bewegte kaum seine Finger, trotzdem befand sich auf einmal das Messer in seiner Hand. Er machte ebenfalls einen Schritt auf Frank zu. „Doch.“
Franks Augen waren auf das Messer gerichtet, als er zurückwich und sich wieder auf die Couch setzte.
Rob kam weiter ins Zimmer hinein, und seine Bewegungen waren geschmeidig. Jess stutzte. Sie hatte seinen geschwollenen Knöchel doch gesehen, und er hatte übel ausgesehen. Eigentlich hätte er nicht imstande sein dürfen, ihn zu belasten. Rob kam noch näher, und jetzt bemerkte sie den feinen Schweißfilm auf seinem Gesicht. Seine Schmerzen mussten unerträglich sein.
Auf einmal begriff sie. Natürlich wollte er nicht, dass Frank etwas von seinen Schmerzen wusste. Frank sollte der Polizei nichts von seiner Verletzung erzählen können. Und dass Frank sofort zur Polizei gehen würde, nachdem das hier …
Nachdem was?
Was, um alles in der Welt, sollten sie mit Frank machen, wenn sie Rob zum Strandhaus fuhr?
„Hol ein Seil“, befahl Rob.
Perplex sah sie ihn an.
„Ich sagte, hol ein Seil, verdammt.“ Sein Ton war rau, und er deutete mit dem Messer auf sie.
Jess starrte die Waffe an, dann wieder Rob. „Ein Seil?“, wiederholte sie benommen.
„Allerdings“, bestätigte er und warf ihr einen Blick zu, den Frank nicht mitbekam. Bitte, sagten seine Augen, deren Sanftheit seine harschen Worte Lügen strafte. „Damit ich Frank fesseln kann.“
Jess verstand. Rob wollte nur sicherstellen, dass man ihr nicht Beihilfe zur Flucht vorwerfen konnte.
„Ich glaube, in der Garage ist eines“, erklärte sie und schaute zu Frank, der still und wachsam dasaß.
„Hol es“, sagte Rob. Seine Miene verhärtete sich, als er wieder zu Frank schaute.
Jess ging zur Tür, die in die Garage führte. Doch Robs nächste Worte ließen sie innehalten.
„Und wenn du zu fliehen versuchst, töte ich ihn!“
Sie drehte sich zu ihm um, und der Ausdruck auf seinem Gesicht war ihr so fremd, so schrecklich, dass sie es nicht fassen konnte.
Er tut nur so, sagte sie sich und schaltete das Garagenlicht an. Er spielt nur eine Rolle. Oder?
An einem Haken an der Wand hing ein Seil, neben einem orangefarbenen Verlängerungskabel und einer Rolle Lautsprecherkabel. Jess nahm das Seil. Es war etwa drei Meter lang, aus Nylon, stabil und hellblau. Die Sorte Seil, die man zum Klettern oder Bergsteigen benötigte.
Sie ging damit zurück ins Wohnzimmer und gab es Rob.
„Und jetzt hol einen Stuhl aus der Küche“, befahl er, und wieder gehorchte sie schweigend.
„Setz dich hierher“, forderte er Frank auf und zeigte auf den Stuhl.
Frank rührte sich nicht.
Rob packte Jess, drückte sie an seine Brust und hielt ihr das Messer gefährlich nah an die Kehle. Sie schnappte nach Luft, und ihre Angst war nicht gespielt.
„Na los, beweg dich!“, sagte Rob.
Frank stand von der Couch auf und setzte sich mit ausdrucksloser Miene auf den Küchenstuhl.
Rob ließ Jess los und schubste sie hart genug von sich, dass sie stolperte. Dann warf er ihr das blaue Seil vor die Füße.
„Fessle ihn.“
Mit zitternden Fingern fesselte sie Franks Hände hinter dem Stuhl. Als sie einen Knoten machen wollte - den einzigen, den sie kannte -, stoppte Rob sie.
„Mach eine Schlinge“, befahl er, und da sie zögerte, erklärte er ihr ungeduldig, wie sie es machen
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