Risotto Mit Otto
Dass ich Rücksicht von ihm erwartete? Von einem Deutschen? Na ja, einem Deutschen, der sich für italienischer hielt als alle Einwohner von Reggio Calabria zusammen. Aber wie kam ich nur auf Rücksicht? Wir kannten uns ja noch nicht mal.
»Pronto« , sagte ich zögerlich und mit Piepsstimme, nachdem ich den Hörer knapp eine Minute stumm angestarrt hatte, in der Hoffnung, das Ding – und damit auch Jan – möge sich doch bitte in Luft auflösen.
»Hallo, Angela, keine Angst, ich fresse dich nicht. Hier ist Jan.«
Kann der Mann etwa Gedanken lesen?, dachte ich und war überrascht von der warmen, angenehmen Stimme. »Ah«, sagte ich nur.
»Ich wollte nur kurz mit dir wegen des Zimmers spre…«
»Ja, also wenn du am Wochenende zurückkommst, bin ich schon weg«, sagte ich schnell, ohne ihn ausreden zu lassen. »Alles kein Problem, du wirst gar nicht merken, dass ich je da gewesen bin. Ich werde alles picobello hinterlassen, keine Sorge.«
Hatte ich das allen Ernstes gerade gesagt? Alles kein Problem? Ja, war ich denn völlig übergeschnappt? Alles ein Riesenproblem, wäre die richtige Antwort gewesen, schließlich hatte ich noch nicht mal ansatzweise ein neues Dach über dem Kopf. Doch bevor ich mich in die aufkommende Panik so richtig schön reinsteigern konnte, ergriff Jan wieder das Wort.
»Moment mal«, sagte er, »nicht so schnell. Am Wochenende klappt es nicht, ich komme vermutlich übernächste Woche mal kurz vorbei, allerdings nur um ein paar Sachen zusammenzupacken. Ich habe hier in Zürich einen Zeitvertrag bekommen und werde für ein halbes Jahr, vielleicht sogar für ein ganzes bleiben.«
»Das ist ja toll für dich«, sagte ich. Und dachte: Und vor allem für mich.
»Ja. Wenn du magst, kannst du also das Zimmer zur Untermiete haben. Die Details können wir ja dann besprechen, wenn wir uns sehen, okay?«
»Klar, danke. Bis bald dann«, erwiderte ich und legte erleichtert auf. Wie nett von ihm, dachte ich und überlegte, dass er so gar nichts von einem typisch deutschen Superitaliener hatte. Vielmehr war er extrem entspannt und sah die Dinge erstaunlich locker, was mir sehr gut gefiel.
Dank Jan hatte ich also noch ein bisschen länger Zeit, um das Zimmer wieder in seinen Ursprungszustand zu versetzen, worüber ich sehr froh war, denn das war alles andere als einfach. Immerhin hatte ich nicht nur die Poster abgehängt und auf dem Kleiderschrank gestapelt, sondern auch ein bisschen Möbel gerückt. Natürlich hatte ich gewusst, dass Jan schon nach sechs Wochen zurückkommen würde, dennoch hatte ich es einfach tun müssen, um mich wohl zu fühlen.
Die M&Ms hatten meine Aktion nur mit hochgezogenen Augenbrauen kommentiert, Friedrich dagegen hatte mit einem längeren Abriss über das Thema »Fremdes Eigentum und der korrekte Umgang damit« versucht, an mein Gewissen zu appellieren. Sofern ich denn eines hatte – eine Frage, bei der er sich nicht ganz sicher zu sein schien.
Augenscheinlich hatte Jan eine neue Glückssträhne in mein Leben eingewebt, denn ich hatte das Telefon gerade zurück auf die Station im Flur gebracht, da kündigte mein Handy den Eingang einer SMS an. Mit einer für meinen derzeitigen Zustand äußerst ungewöhnlichen Reaktionszeit von vier Millisekunden war ich an meinem Bett und drückte auf »Nachricht anzeigen«.
Tatsächlich! Es gab doch noch so was wie ein Recht auf Glück in dieser großen, bösen Welt. Da war sie. Die SMS. Von Ben.
»Hi bellissima «, schrieb er, »bin diese Woche in Berlin, viel Stress. Wie wär’s mit Montagabend um acht? In der Bar Cardinal? Mach dich hübsch. Freu mich auf dich! B.«
Ich schwebte förmlich zehn Zentimeter über dem Teppich, während ich die Nachricht siebzehnmal hintereinander las, um sie dann noch ein achtzehntes Mal zu überfliegen, ehe ich mich traute weiterzuatmen.
Oh mein Gott, ich musste duschen. Und zum Friseur. Zur Maniküre. Mir die Fußnägel lackieren. Mich ganzkörperrasieren. Ins Fitness-Studio. Zur Kosmetikerin. Ins Solarium. Zum Fettabsaugen. Klamotten kaufen. Schuhe. UNTERWÄSCHE . Mir blieben exakt zwei Tage, um mich und meinen pastagestählten italienischen Body auf Vordermann zu bringen, und wenn ich David Kirsch der ohnehin viel zu perfekten Heidi Klum als Personal-Trainer ausspannte, hatte ich durchaus eine Chance auf Erfolg. Wenn auch eine nicht vorhandene.
Ohne dass ich dagegen etwas hätte unternehmen können, lief sofort das volle Programm, Stereo und in Farbe, vor meinem inneren Auge ab: Ich sah
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