Risotto Mit Otto
Seminare anmelden können.«
Ihr mitleidvoller Blick trieb mir prompt die Tränen in die Augen. »Aber …« Wenn das so weiterging, konnte ich mich bald als Model für Papiertaschentücher-Werbung verdingen.
Die Mittvierzigerin kramte in ihren Unterlagen und hielt mir ein paar zusammengetackerte Kopien hin. »Hier, da stehen die Seminare drauf, in denen noch Plätze frei sind. Vielleicht finden Sie ja noch etwas, das Sie interessiert.«
»Grazie« , hauchte ich, während es in meinem Kopf hämmerte, als säße ein kleiner Mann mit einem Presslufthammer darin und versuche, einen Tunnel zwischen den einzelnen Synapsen zu bohren. Schmerz lass nach. Wieso musste ich auch unbedingt in Deutschland studieren, wo alles so kompliziert war?
»Nun lassen Sie mal den Kopf nicht hängen, Sie können in vielen Seminaren ECTS-Punkte sammeln«, gab sie mir noch mit auf den Weg.
Was für Punkte?, dachte ich. Aiuto!
Wieder draußen auf dem Geschwister-Scholl-Platz, setzte ich mich erst mal auf den Rand des Brunnens, wo inzwischen jede Menge Studenten um mich herumwuselten, und versuchte, meine Gedanken zu ordnen. Dazu brauchte ich nicht nur dringend Frischluft, sondern auch eine Cola und, vor allem, zwei Tüten Gummibärchen. Die habe ich schon in Italien für mein Leben gern gegessen und beneide die Deutschen um diese wahrlich geniale Erfindung, die bei Seelenqualen jeder Art zum Einsatz kommt. Je mehr man sich von den bunten Bären gleichzeitig einverleibt, desto besser wirken sie – das habe ich in jahrelangen Feldversuchen am eigenen Leib erprobt.
Die Auswirkungen der Versuche auf meine Figur sind dabei, aus Rücksicht auf meine Psyche, bisher unerforscht geblieben, und auch heute redete ich mir wieder ein, dass die Gummibärchen immerhin so gut wie fettfrei waren. Natürlich war selbst mir klar, dass ich da Augenwischerei auf höchstem Niveau betrieb, da der Hauptbestandteil dieser kleinen Kerle Zucker war. Ich hätte mir also genauso gut einreden können, dass Gummibärchen absolut gummi- oder naturkautschukfrei waren, nur ob ich mich dadurch auch besser gefühlt hätte?
Während ich mit vollem Mund kaute, versuchte ich, Vale anzurufen, bekam sie jedoch leider nicht an die Strippe. Die anderen um mich herum wirkten alle viel dynamischer als ich, während sie zielsicher die Treppen zum Haupteingang hinauf- oder hinunterliefen. Offenbar ist doch etwas dran an der deutschen Zielstrebigkeit, der Genauigkeit und der Organisiertheit – alles Dinge, von denen bei mir keine Rede sein kann.
»He, was ist denn mit dir los?«, fragte mich eine kleine, zierliche Studentin in Jeans und buntbedrucktem T-Shirt, die sich neben mir auf den Rand des Brunnens fallen ließ. »Du schaust aus, als hättest du eine Semesteranfangsdepression.«
Ich musste grinsen. »Du hast das Problem zielsicher erkannt«, sagte ich und bot ihr erst mal ein paar Gummibärchen an.
»Na ja, vielleicht sollte ich doch besser Psychologie studieren als Germanistik?« Ihr hellblonder Zopf wippte, als sie lachte.
Sofort besserte sich meine Laune, und ich berichtete ihr von meinem Schiffbruch auf hoher See. Elin, wie sie hieß, stammte ursprünglich aus Schweden, war aber mit ihren Eltern schon vor sechs Jahren nach München gezogen, da ihr Vater am Forschungszentrum in Garching eine gutdotierte Stelle bekommen hatte. Sie fühlte sich rundherum wohl hier, und ihre lebensfrohe, positive Art tat mir sehr gut.
»Falls es dich tröstet, da bist du nicht die Einzige«, meinte sie.
»Wieso?«
Sie seufzte. »Germanistik ist eben ein richtiges Massenfach, und die Seminare sind grundsätzlich überfüllt. Die ausländischen Studenten haben fast immer das Nachsehen und kommen fast nirgendwo mehr rein, weil die Münchner sich oft schon am Ende des Vorsemesters für die Veranstaltungen anmelden.«
»Na super!« Ich schnaubte empört und gönnte mir gegen diese himmelschreiende Ungerechtigkeit gleich noch eine Handvoll Gummibärchen.
»Mach dir nichts draus. Vielleicht können wir ja ein anderes Seminar zusammen besuchen. Was wolltest du denn sonst so belegen?«
Gemeinsam beugten wir uns über meine Kopien und fanden bald etwas, das uns beide interessierte. Nachdem Elin mir noch das Büro von TutoRIA in der Schellingstraße gezeigt hatte, wo ich mich nicht nur mit Fragen hinwenden, sondern auch an organisierten Ausflügen für ausländische Studenten teilnehmen konnte, verabschiedeten wir uns. Am Ende der Woche würden wir uns in einem Seminar über den Zauberberg
Weitere Kostenlose Bücher