Risotto Mit Otto
mehr verstehen konnte.
Ich einigte mich mit ihm darauf, dass ich mich wieder melden würde, sobald ich Näheres wusste, und versuchte mich von den anderen Fahrgästen, die alle ganz unchristlich und ohne jedes Anzeichen von Nächstenliebe in Richtung Tür drängelten, nicht tottrampeln zu lassen.
Kaum stand ich kurz vor zwölf mit meinem gesamten Gepäck auf dem Bahnsteig und versuchte mich zu orientieren, klingelte mein Handy.
» Babbo, ich hab doch gesagt, ich melde mich«, brüllte ich in den Hörer.
Doch es war Otto, der mir noch mal eine gute Reise und frohe Weihnachten wünschen wollte, weil er fand, dass wir uns gestern in dem allgemeinen Trubel gar nicht richtig verabschiedet hatten.
»Die guten Reisewünsche kommen ein bisschen zu spät«, sagte ich sarkastisch und erzählte ihm, was passiert war. Wieder kämpfte ich mit den Tränen, doch diesmal rang ich sie nieder, schließlich wollte ich vor ihm nicht als Heulsuse dastehen. Zwar hatte ich beim besten Willen keine Ahnung, wie ich aus diesem Kaff jemals wieder wegkommen, geschweige denn nach Italien gelangen sollte, doch das wollte ich mir nicht anmerken lassen. »Ich werde heute Abend schon irgendwo landen«, sagte ich daher nur aufgesetzt fröhlich.
»Weißt du was, ich hole dich ab«, sagte er spontan.
»Aber du hast doch gar kein Auto. Willst du mit dem Fahrrad vorbeikommen? Und wie willst du da meine Koffer transportieren?« Beim Gedanken an mein Gepäck, das dem einer siebenköpfigen Großfamilie ganz sicher in nichts nachstand, musste ich schon wieder lachen.
»Ich kann mir den Wagen von Tobi leihen«, sagte er, »kein Problem. Nach Bologna kommst du heute eh nicht mehr rechtzeitig, da kannst du besser hierbleiben. Ich bin schon unterwegs.«
»Das musst du nicht.«
»Keine Widerrede, bleib einfach in der Wartehalle sitzen, in einer Stunde bin ich bei dir.« Er legte auf, bevor ich mich noch richtig bedanken konnte.
Was war denn mit dem los? An Weihnachten werden die Deutschen irgendwie seltsam, stellte ich fest und überlegte, ob ich Ottos großzügiges Angebot überhaupt annehmen wollte. Aber was blieb mir schon anderes übrig? Ich konnte ja schlecht erst abends um neun in Bologna eintreffen und erwarten, dass meine Eltern den Weihnachtsvorabend am Bahnhof verbrachten, um anschließend mit mir noch über die Autobahn zu gondeln und die Mitternachtsmesse zu verpassen. Vielleicht war es wirklich besser, Otto nahm mich mit zurück nach München und ich verbrachte den Abend dort. Nur mit wem? Und wie? So hatte ich mir das alles mal wieder nicht vorgestellt.
Zwölf Stunden später saß ich erschöpft, aber beseelt zusammen mit Otto an dem runden Glastisch in unserer verwaisten WG-Küche und hatte einen der schönsten Abende hinter mir, die ich je erlebt habe. Meinen Eltern hatte ich die bittere Pille verabreichen müssen, dass ich aufgrund des Schneechaos wohl über die Feiertage in München bleiben würde, und zum Glück hatte ich mamma davon abbringen können, babbo auf die Autobahn zu zwingen und herzufahren. Immerhin vermuteten sie mich immer noch bei Signor Colluti …
Meine Wehmut über die unvorhergesehene Programmänderung schwand schnell, denn Otto hatte mich einfach ins Münchner Hofbräuhaus mitgenommen, wo der Katholische Männerfürsorgeverein für gut eintausend Obdachlose eine Weihnachtsfeier inklusive Bescherung und einer Predigt des Münchner Weihbischofs ausrichtete. Otto war gemeinsam mit seinen Eltern und seiner Schwester nun schon zum vierten Mal dabei, und die Familie bewirtete die Obdachlosen mit einer Liebe, die mir ganz warm ums Herz werden ließ. Überhaupt waren die strahlenden Gesichter der vielen Gäste, die sich alle für Weihnachten richtig schickgemacht hatten, einfach nur überwältigend.
Wir bekamen zu fünft einen langen Tisch mit knapp vierzig Personen zugeteilt, an dem zu meiner großen Freude auch mehrere Italiener saßen. Als sie merkten, dass ich sie verstehen konnte, bereiteten sie mir einen großen Empfang, und am Ende des Abends ging ich mit drei Heiratsanträgen nach Hause. Zunächst brachten wir die Getränke an die Tische, und als es um die Essensausgabe ging, kam ich richtig ins Schwitzen, so schwer waren die riesigen Tabletts mit den halben Hähnchen darauf. Ich verteilte hier einen Teller und bekam dort ein Kompliment, und da wir uns mit den Leuten auch unterhalten sollten, erfuhr ich viele interessante Lebensgeschichten, die mich alle sehr berührten.
Den ganzen Abend über spielte ein
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