Risotto Mit Otto
würde – schließlich gab es außer mir keine weiteren Zeugen. Da ich heute meinen großzügigen Tag hatte und Weihnachten das Fest der Nächstenliebe und Vergebung war, leerte ich ihm noch schnell eine Dose Hühnchen in Gelee in den Napf, wofür er sich prompt erkenntlich zeigte. Schnurrend und mit freudig in die Luft gestrecktem Schwanz strich er mir um die Beine und signalisierte vorbehaltlose Dankbarkeit.
»He, was ist denn mit dir los?«, fragte ich ihn erstaunt und ließ mich sogar dazu hinreißen, ihm über den Rücken zu streicheln. Wenn ich nicht aufpasste, wurden wir noch gute Freunde.
Am Bahnhof war trotz der frühen Stunde schon die Hölle los, und ich war heilfroh darüber, dass ich die zwei Euro fünfzig nach reiflicher Überlegung in einen Sitzplatz investiert hatte. Überall liefen schwerbepackte Menschen mit Taschen, Rucksäcken, Koffern und Tüten, aus denen kunstvoll verpackte Geschenke herauslugten, durch die Gänge, und ich musste aufpassen, dass ich nicht irgendwo hängenblieb.
Zum Glück fuhr der Zug in München los und stand daher schon am Bahnsteig bereit. So kaufte ich mir nur noch schnell an der italienischen Bar einen Cappuccino und ein cornetto und war überglücklich, dass es die leckeren Hörnchen auch in München gab. So stimmte ich mich gleich richtig auf meine Heimat ein, und es konnte nichts mehr schiefgehen.
Leider hatte ich die Deutsche Bahn unterschätzt, denn es ging von vorne bis hinten einfach alles schief. Es fing damit an, dass die elektronischen Reservierungsanzeigen über den Sitzen nicht richtig funktionierten. Als ich mich endlich im Zug durch die anderen Reisenden und ihr Gepäck gekämpft hatte, stand ich vor meinem Sitzplatz und las in Rot auf schwarzem Grund: München–Berlin.
Aiuto!, dachte ich, jetzt hab ich doch glatt den falschen Zug erwischt, und sah hektisch auf die Uhr. Wie immer war ich, obwohl ich extra früher losgefahren war, in letzter Minute an Bord gegangen, aber das war mir ganz recht. Erstens hatte es genau gereicht, und zweitens verbrachte ich meine kostbare Zeit nur ungern mit Warten auf zugigen Bahnsteigen – erst recht im Winter. Ich raffte meine Handtasche, den Koffer und die Reisetasche mit den Geschenken zusammen und verfluchte einmal mehr meine unpraktische Handtasche, um zurück in Richtung Tür zu stürmen. Da fing es laut an zu piepsen, die Türen schlossen sich mit einem satten Plopp, und der Zug rollte an.
»Nooooooo!« , rief ich. »Halt, ich bin hier falsch! Ich will nicht nach Berlin! Ich will nach Hause, zu meiner famiglia .«
Die anderen Fahrgäste schauten mich an, als hätten sie für die Nummer Eintritt bezahlt.
»Keine Sorge, junges Fräulein«, sagte der Mann direkt vor mir, der es sich mit der Financial Times, einer Butterbrezn und einem Weißbier schon mal bequem gemacht hatte, »der Zug fährt nicht nach Berlin, sondern nach Italien.«
»Aber da steht’s doch.« Ungläubig deutete ich auf die elektronische Anzeige.
»Das Ding spinnt«, mischte sich nun eine junge Frau von gegenüber ein. »Das kommt häufiger vor. Wenn Sie nach Italien wollen, sind Sie hier schon richtig.«
Ich ließ mich auf meinen Koffer sinken. »Sind Sie sicher?«
Da nun auch die ältere Dame auf dem Sitz neben meinem bekräftigend nickte, war ich davon überzeugt und machte mich daran, mein Gepäck zu verstauen. Noch vor wenigen Monaten hätte ich mich nicht mal alleine zum Bahnhof getraut, aus lauter Angst, den falschen Zug zu erwischen, und dieser Schreck war nun der Dank für meine Emanzipation.
Als sich mein Herzschlag wieder beruhigt hatte und ich endlich auf meinem Sitz saß, bot ich den netten Ersthelfern um mich herum, die mich vor einem Nervenzusammenbruch bewahrt hatten, erst mal eine Runde von den Dominosteinen an, die ich eigentlich für Vale gekauft hatte. Aber wer, wenn nicht meine beste Freundin, hätte für diese Tat Verständnis.
Ich wollte ihr gerade eine SMS schreiben, da kündigte ein Piepton eine neue Nachricht an. Gedankenübertragung, dachte ich und öffnete sie, neugierig, was Vale mir mitzuteilen hatte.
Doch sie war von Ben. » Ciao bellissima, selbst in einer so klaren Winternacht wie gestern strahlen die Sterne am Nachthimmel nicht so hell wie deine schönen Augen, in die ich hoffentlich bald wieder blicken darf. Sag mir, wann! Fröhliche Weihnachten! Bussi, Ben.«
Ich musste bis über beide Ohren grinsen, als ich die Zeilen las, und schrieb ihm gutgelaunt zurück, dass ich auf dem Weg nach Hause sei.
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