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Risse in der Mauer: Fünf Romane (German Edition)

Risse in der Mauer: Fünf Romane (German Edition)

Titel: Risse in der Mauer: Fünf Romane (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Lars Gustafsson
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Schärengebiet vor Stockholm zu verbringen. Gotlands planes Licht, dem die Schattierungen fehlen, nicht unähnlich dem Licht über den orientalischen Wüsten, über Negev und Sinai, machte mich unglücklich, schutzlos, rastlos. Ich radelte immer wieder zum Kolonialwarenladen und zurück, ganze Vormittage lang, weil die Rastlosigkeit mich unentwegt dazu zwang, etwas zu tun. Das Fehlen tiefer Wälder erstickte mich fast, das Meer, ohne Inseln und Sunde, eiskalt noch bis in den Juli hinein, mit monotoner Brandung gegen verwitternden Kalkstein schlagend, empfand ich als Bedrohung. Und die Gegend war in einem Zustand des Verfalls, des Absterbens und der Arbeitslosigkeit begriffen, der so viel weiter fortgeschritten war als in meiner Heimatgegend, daß ich schauderte und in Asien zu sein meinte.
    Vom Stockholmer Schärengebiet ist mir nur ein riesiges Holzschloß draußen auf der Insel Värmdön in Erinnerung, hoch oben auf einem terrassenförmig angelegten Hügel, mit einem Turm aus grünem Blech und einer Unmenge von verwitternden gedrechselten Balkonbrüstungen. Das Haus gehört der Verwandtschaft meiner Frau; es wurde etwa zu der Zeit gebaut, als August Strindberg in dieser Gegend wohnte. Es bezeichnete mit solch entsetzlicher Deutlichkeit den Verfall einer absterbenden bürgerlichen Gesellschaft, daß es mich erschrocken und beklommen machte. Ebenso deutlich wie das Wissen um die riesigen Raketen, die in ihren Betonbunkern auf den verschiedenen Kontinenten lauern, brachte mir der Speicher des alten Hauses auf Värmdön zu Bewußtsein, daß ich zu den Letzten einer historischen Periode gehöre.
    Das war nicht meine Kleinbürgerlichkeit, das war ein fremdes Großbürgertum, neunzehntes Jahrhundert oder Jahrhundertwende, das ich nur durch die Literatur kennengelernt hatte.
    Die kleinen Puppen mit ihren Porzellankörpern, denen bei einem wilden Spiel ein Finger abgebrochen worden war. Die Gartenschaukel, deren Bänder und Polster von Ratten zerfressen waren, die Strohhüte, die irgendwo verschimmelten, wo man das Dach nicht abgedichtet hatte, die kleinen Erdbeerkörbe und Springseile. Und unten am Wasser: das Badehaus mit dem beweglichen Holzgestell, das einem Fischkasten glich, mit einer Luke darin, die es ermöglichte, ins offene Wasser hinauszuschwimmen. Das alles grün von Algen, zerfallend.
    Der früh verstorbene Arne Sand hat dieses Haus in den fünfziger Jahren ein paarmal besucht; ich vermute, daß es für einige seiner letzten Romane eine Rolle spielte: es bot ein Abbild des labyrinthischen Gebäudes, das ihm immer vorgeschwebt hat.
    Auf mich wirkte es lähmend: ich konnte früh am Morgen erwachen, voller Arbeitslust und Energie; ich brauchte nur die Treppe hinunterzugehen und den Geruch aus der Küche zu spüren, den gar nicht unangenehmen, ganz neutralen Talggeruch von den Festmählern einer vergangenen Epoche (Entenpresse aus glänzendem Messing), brauchte nur den Schirmständer aus schwerem Porzellan mit seinen Spazierstöcken und Elfenbeingriffen zu sehen, in das große weiße Eßzimmer zu treten und ein kleines Kleidungsstück meines Kindes (zu dieser Zeit hatte ich nur eines) weit unten auf der Terrasse im Wind flattern zu sehen, um deutlich zu spüren, daß dieser ganze schöne Sommertag von vornherein sinnlos war, daß er nur einen weiteren Zerfall mit sich bringen, weitere Sekunden und Minuten zur Summe des Zerfalls hinzuaddieren konnte. Ja, die Zeit selbst war an diesem Ort nichts als Zerfall, Verwitterung, Entropie.
    Und das Echo von verlorenen Kindheitssommern fremder kleiner Kinder.
    Ich kehrte also nach Västmanland zurück, in die Gegend, wo ich als Fünfjähriger ganze Tage am Seestrand gesessen und mit dem groben, rasselnden Kies gespielt habe und wo im Juli der Sonnenrauch über den großen Seen liegt. Der Duft des feuchten, erhitzten Tannenwaldes schlug mir wieder entgegen und die Geräusche von den Waschstegen und der Lärm der Traktoren im Wald. In diesem fast verödeten Land lag eine Zukunft, eine Möglichkeit, mit vernünftigen Mitteln die Welt zu verbessern.
     
    Und dies war ein Wendepunkt.
    Hier war es möglich, wieder zu hoffen. Ich weiß eigentlich nicht, warum, aber es war möglich, wieder zu hoffen.
    Vielleicht war es der Einfluß meiner Frau, ihre Klugheit, ihre Großzügigkeit, ihre Perspektive. Vielleicht war es die Entdeckung, daß das, was ich als Schweden empfand, die Behörden, die Verlage, die großen Zeitungen, die Universitäten, Theater, die öffentliche Meinung, die

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