Rita und die Zaertlichkeit der Planierraupe
Seit zwei Monaten ging die A ffäre, ein paar »Dienstreisen« samt schönen Hotels, und jetzt platzte Zwerger auf einmal vor Leidenschaft und T atendrang. Spielte den glühenden A usbrecher aus seiner Glücksgrube, die er sich selber vor zwanzig Jahren aufgerissen hatte. Servierte, vom Kies genervt und gebeutelt, seine Frau ab wie dreckiges Geschirr und beging den letzten V errat am alten Poschedsrieder, der ihm die Kiesgrube überlassen hatte. Und an den Leuten, die da arbeiteten.
Das penetrante Grinsen des aufdringlichen Bene schoss ihr durchs Hirn, und schon schwand ihr Mitleid für die armen A llgäuer A rbeitnehmer wieder. Sie war hier nicht zuhause, sie kannte die Menschen nicht wirklich, und in einem hatte Zwerger Recht: Das Leben sollte keine Kiesgrube sein, in der man seine T räume vergrub, die Hoffnungen und die T räume flachschob wie Kieshaufen mit Planierraupen.
Rita merkte, dass ihre Gedanken sich allmählich dem Niveau von Peter Gabriels Gesängen annäherten, aber es war ihr egal. Und vielleicht war es ja doch kein kapitaler Fehler, mit dem wilden Karl abzuhauen, irgendwohin in den Süden. W o es warm war und wo man Geld hatte. Eine temporäre Perspektive, ein Paradies auf Zeit, in dem sie sich dann in aller Ruhe würde überlegen können, wie es weitergehen sollte mit ihrem Leben.
Und dann legte sich der wohlige Schlaf über Ritas nackten Leib, den geschenkten Popozwicker-Seiden-Body hatte sie längst in die W äsche getan.
Ganz langsam kroch das erste Leuchten der Sonne über den W ald hinauf, der rechts von dem Feldweg lag, auf dem Ewald entlangfuhr. Er sah sich um: Die Berge lagen immer noch genau hinter ihm, er war also auf dem richtigen W eg. Das würde er sich merken: Wenn die Sonne am Morgen rechts von ihm war, dann stimmte die Richtung. A uch wenn er natürlich nicht immer warten konnte, bis die Sonne wieder aufging. So viel war ihm klar: Am A bend musste die Sonne logischerweise genau links von ihm sein, dann fuhr er auch direkt auf die Ostsee zu. Und wenn es mal regnen sollte, musste er sich eben etwas anderes einfallen lassen. Zur Not konnte er jemanden fragen.
Die klare Mondnacht war kurz davor, zu einem schönen T ag zu werden, aber Ewald hatte keine Lust mehr, zu fahren. Er war einfach müde. Es war überhaupt ein ziemlich langer T ag gewesen: erst am V ormittag die V orbereitungen für das Rennen, das Einstellen der Maschine, dann das W ettplanieren in der Kiesgrube, am A bend die Feier mit der Siegerehrung und dem Zwerger seinem komischen Konkurs und dann noch das blöde Geschwätz vom Bene hinten bei der Dieselsäule.
Ewald überschlug im Kopf, dass er mindestens einen halben A rbeitstag lang gefahren sein musste, nur eben in der Nacht, und das mussten schätzungsweise so etwa fünf Stunden gewesen sein. W ie weit er dabei gekommen war, wusste er nicht, denn das hätte er ausrechnen müssen. A uf jeden Fall war es gut gelaufen. A uf die Fiat-Allis war eben V erlass, auch wenn sie eine alte Kiste war. Das neumodische Glump mit den Joysticks und der ganzen piepsenden Elektronik stand sowieso die meiste Zeit in der W erkstatt, weil man da nichts mehr selber reparieren konnte, zumindest nicht mit Schraubenschlüsseln.
Im schummrigen Licht sah Ewald am Ende des Feldwegs Häuser auftauchen. Es waren Neubauten, kleine Einfamilienhäuser, wie sie in den letzten Jahren auch auf all die W iesen rund um Ratzisried herum draufgebaut worden waren und in denen viele Leute wohnten, die aus der Stadt zugezogen waren. Hier sah es genauso aus, und Ewald erkannte in der Morgendämmerung, dass diese Siedlung der Rand einer größeren Stadt sein musste. Die Häuschen standen eng beisammen, die Gärtchen sahen aus der Entfernung winzig aus. Da musste man sicher aufpassen, nicht die Blumen des Nachbarn zu zertrampeln, wenn man mal von außen die Fenster putzen wollte. Ewald wollte nicht zu dieser frühen Stunde mit der Raupe durch die Siedlung fahren, wahrscheinlich schliefen die Leute noch, das waren bestimmt keine Bauern, die früh um fünf Uhr rausmussten.
Ewald steuerte die Fiat an den Rand des Feldwegs und stellte die Maschine ab. Er zog eine alte Decke unter dem Fahrersitz hervor, legte sie sich über den Leib und machte die A ugen zu. In seinem Kopf und in seinem Körper brummte und vibrierte es noch: Ewald mochte dieses Gefühl, ein angenehmes Kribbeln, das immer dann kam, wenn er stundenlang auf der Raupe gesessen hatte. Das war, wie wenn die Maschine der Raupe noch heimlich in ihm
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