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Rita und die Zaertlichkeit der Planierraupe

Rita und die Zaertlichkeit der Planierraupe

Titel: Rita und die Zaertlichkeit der Planierraupe Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jockel Tschiersch
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und dann fahrn’s heim. Mit oder ohne dem Porsche. Das können Sie sich noch überlegen bis morgen in der Früh.«
    Ewald legte sich wieder hin und zog sich die Decke bis an den Hals.
    Rita machte sich daran, die Rückenlehnen flach zu stellen, aber Ferdinand Porsche hatte bei seinem 911er offenbar auf Liegesitze verzichtet. Leise fluchend versuchte sie, sich quer über beide Sitze zu legen, aber das sportliche Cockpit war beim besten W illen kein passabler Schlafplatz. Zusammengekrümmt wünschte sie sich im wabernden Mondlicht den Schlaf herbei, aber der wollte einfach nicht kommen. Eine halbe Stunde lang dachte sie immer wieder darüber nach, was sie in den letzten Stunden erlebt hatte, und wusste eigentlich nicht, was sie hier tat. Urspünglich war sie ja losgefahren, um die Raupe schnell zurückzuholen und den armen Herrn Fricker davor zu bewahren, in ein Unheil hineinzuschlittern. A ber der arme Herr Fricker schlitterte nicht im Geringsten, sie jedoch hatte nicht einmal ein ordentliches Bett unter dem Hintern.
    Dann kam ihr eine Idee. V orsichtig stampfte sie im Nebel durch das weiche Gelände hinüber zur Raupe. Fricker schien zu schlafen. Sie wollte den Zündschlüssel für die Raupe, der würde ihr auf jeden Fall am nächsten Morgen V erhandlungsvorteile verschaffen wofür auch immer. Doch der Schlüssel steckte nicht im Zündschloss. Rita versuchte vorsichtig unter die Decke zu spähen, die Fricker sich bis ans Kinn hochgezogen hatte.
    »Der Schlüssel ist nicht da, wo Sie glauben, dass er wär.«
    Rita erschrak, denn Fricker hatte sich nicht ein einziges Mal gerührt, bevor er den Mund aufgemacht hatte.
    »Ich dachte, Sie schlafen. Ich hab nur Hunger.«
    »Eben. Sie hätten was essen sollen bei dem Imbiss.«
    Ewald richtete sich auf und zog unter dem Sitz einen Stoffbeutel mit ein paar Äpfeln hervor. Dann machte er seinen A kkordeon-Kasten auf und holte eine Flasche Obstler heraus.
    »Den brennt meine Mutter selber.«
    Rita wusste, dass es ernährungsphysiologischer Blödsinn war, zur Nacht Äpfel zu essen wegen des Säuregehalts, aber sie hatte einfach Hunger und verschlang nacheinander drei Äpfel, die wunderbar schmeckten.
    »Sie sind ein Sturkopf, Herr Fricker.«
    »Sie auch. Sie brauchen bloß zurückfahren.«
    »Wie denn? Der Porsche steht im Dreck.«
    »Wegen mir hätten S’ nicht reinfahren müssen in den Dreck. Ich komm schon wieder zurück.«
    Fricker reichte ihr die Obstlerflasche.
    »Nur zum Einschlafen …«
    Rita nahm einen Schluck. Obwohl der Schnaps stark wie die Hölle war, schmeckte er wunderbar weich. Sie nahm noch zwei große Schlucke, und ihr war für einen Moment, als wenn sie in einem schlingernden Kanu durch dicken Birnennebel über einen welligen See aus A pfelmus schaukeln würde. Ewald trank auch noch einen Schluck.
    »Nur zum Einschlafen.«
    »Nur zum Einschlafen.«
    Rita sah den Raupenfahrer mit einem wissenden Lächeln an, als sei ihr gerade im aufkommenden Branntweindunst klar geworden, welcher T rieb Herrn Fricker peitschte.
    »Sie wollen nur mal weg sein von zuhause, von Ihrer Mutter und dem Stall. Das kann ich verstehen.«
    »Und wenn scho. A ber Sie müss’n auch gleich z’rück zum Zwerger, das mag der fei gar nicht, wenn man zu spät kommt …«
    »Sie sind ganz schön frech für jemanden, der eine Raupe geklaut hat.«
    »Ich leih sie ja nur aus. W är ja eh keiner da, der wo sie fahren tät.«
    Rita nahm noch einen Schluck von dem Obstler.
    »Nur zum Einschlafen. W ie viel Prozent hat denn der?«
    Ewald zeigte mit dem Finger auf das Etikett.
    »Das müsst da draufstehn, auf dem Bepper …«
    »Bepper?«
    »Aufkleber.«
    »Da steht aber nichts drauf, auf dem Pepper.«
    »Ja mei, dann steht halt nix drauf. Ist doch auch scheißegal, oder? Zum Einschlafen reicht’s.«
    Rita sah Ewald durchdringend an, vielleicht ein wenig länger und durchdringender, als sie es nüchtern getan hätte.
    »Sie können nicht lesen, stimmt’s?«
    »Steht das da drauf?«
    Darauf fiel Rita spontan nichts annähernd Geistreiches ein. W as sollte sie auch dazu sagen: Fricker wusste ja wohl, dass er nicht lesen konnte, und sie wusste es jetzt auch. Umso erstaunlicher war es, dass der Mann es mit der Raupe bis hierher geschafft hatte, wie auch immer. Und sie ertappte sich dabei, doch so etwas wie einen Hauch von Respekt für Herrn Frickers Sturheit und Zielstrebigkeit zu empfinden. Da setzte der sich auf die Raupe und fuhr einfach los, ohne zu wissen, wo die Ostsee war, und ohne ein

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