Ritter 01 - Die Rache des Ritters
Mutter, die Erklärung für ihre selbstauferlegte Einsamkeit. Jetzt ergab alles einen Sinn: die endlosen Tage, in denen ihre Mutter sich in ihrem Zimmer eingeschlossen hatte, das ständige Abbrennen von Kräutern, die Hausmädchen und ihre durchdringend riechenden Salben. Die vielen Male, in denen ihre Mutter sie ausgeschlossen, sie fortgeschickt hatte. Es war nicht geschehen, weil sie Raina nicht geliebt hatte. Sie hatte nur nicht gewollt, dass ihre Tochter sah, was sie erleiden musste. »Ihr habt sie geschlagen. Wie konntet Ihr das nur tun?«, fragte Raina wie betäubt.
»Ich wollte ihr wehtun, so, wie der Gedanke, dass sie mit anderen zusammenkam, mir wehtat. Ich wusste, dass es falsch war, aber ich konnte mich nicht beherrschen. Sie schwor stets, unschuldig zu sein, aber in jedem Mann, der sie auch nur ansah, vermutete ich einen Liebhaber. Niemand hat mich damals vom Gegenteil überzeugen können, obwohl viele es versucht haben.«
»Und die Rutledges?«
»Ich bestand darauf, dass deine Mutter mich nach Wixley zu einem Turnier begleitete. Bald nach unserer Ankunft entdeckte sie ihren Cousin und verließ unsere Loge, um sich mit ihm zu unterhalten. Als ich sie das nächste Mal sah, stand sie neben William Rutledge. Sie hatte sich den Schuh beschmutzt, und er war stehen geblieben, um ihn mit dem Saum seines Umhangs zu reinigen. Sie schenkte ihm ein Lächeln, für das ich mit Freuden ein ganzes Dutzend Männer getötet hätte – wenn sie mich nur ein einziges Mal so angelächelt hätte.« Sein leises Lachen klang spröde und bitter. »Ganz gleichgültig, was ich für sie tat, ich traf stets auf Gleichgültigkeit, und nun veranlasste die simple Geste eines relativ Fremden sie zu einer solchen Gunstbezeugung.«
Er schwieg, und ein schmerzlicher Ausdruck trat auf sein Gesicht. »Ich war verrückt vor Wut. Rutledge und ich traten beim Turnier gegeneinander an; er ahnte nichts von meinen mörderischen Absichten. Als die Gelegenheit kam, seinen Stoß entweder abzuwehren oder meinen todbringenden zu führen, habe ich mich für Letzteres entschieden. Deine Mutter war entsetzt über mein Handeln, denn sie kannte den Grund. Sie hat es mir zurückgezahlt – indem sie sich an demselben Abend das Leben nahm.«
Der Streit, den Raina als Kind mit angehört hatte, stand mit verstörender Klarheit wieder vor ihr: die frühe Rückkehr ihrer Eltern vom Turnier, die Anschuldigungen, das Schreien …
»Es war, als müsste ich ihr etwas beweisen, als müsste ich ihr sagen, dass sie ganz und gar mein war, auch wenn ich sie nicht dazu bringen konnte, mich zu lieben. Sie hat mir das Gegenteil bewiesen und mich mit einem kleinen Kind zurückgelassen und mit einer Lücke in meinem Herzen, die schmerzhaft danach verlangte, geschlossen zu werden. Ich wandte mich an den anderen Menschen, der durch mich einen Verlust erlitten hatte – Rutledges Witwe. Ich war nicht überrascht, als sie mich abwies, aber mein Zorn darüber war stärker als meine Vernunft, und ich belagerte Wynbrooke, um ihren Willen zu brechen. Sie wollte sich nicht ergeben, deshalb zerstörte ich sie auf die Weise, wie ich deine Mutter nicht hatte zerstören können. Sie verlor ihr Leben. Ihr Sohn war dabei und wurde Zeuge meines Verbrechens gegen sie … «
»Gunnar«, flüsterte Raina und fühlte eine Träne über ihre Wange laufen.
»Meine Ritter sagten mir, er sei tot, gefallen durch einen Schwerthieb.« Der Baron wurde sehr still, nachdenklich. »Als ich auf das Gemetzel schaute, für das ich die Verantwortung trug, konnte ich überhaupt nicht fassen, was ich getan hatte. Ich war entsetzt. Als ich nach Norworth zurückkam, schwor ich mir, mich zu ändern. Ich schwor mir, ein besserer Mensch zu werden – für dich. Alles, was ich wollte, war, deiner Liebe würdig zu sein.«
»Eure Vergangenheit zu leugnen und Lügen unter noch mehr Lügen zu begraben, ist keine Art zu leben, Vater. Ich kann Euch nicht sagen, dass ich es damals verstanden hätte – ich weiß nicht einmal, ob ich es jetzt begreifen kann, aber ich hätte es sehr zu schätzen gewusst, wenn Ihr mir die Wahrheit gesagt hättet. Ihr habt mir nie eine Chance gegeben, zu einem eigenen Urteil zu kommen.«
»Oh Raina! Was kann ich tun, um es wiedergutzumachen?«
»Ihr könnt Euch morgen mit Gunnar treffen«, erklärte sie frei heraus. »Ihr könnt ihm sagen, was Ihr eben mir gesagt habt. Und Ihr könnt ihn um Vergebung bitten.«
Ihr Vater runzelte die Stirn. »Hat er dich deswegen zu mir geschickt, damit
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