Ritter 01 - Die Rache des Ritters
vorstellen, dass du schreckliche Dinge zu hören bekommen hast.«
»Ja, Vater, ich habe schreckliche Dinge gehört. Ich weiß, was zwischen Euch und den Rutledges geschehen ist, aber ich möchte, dass Ihr mir sagt, warum es dazu gekommen ist.« Als er sie nicht ansah, drängte sie ihn: »Was geschehen ist, ist geschehen. Ihr könnt es nicht ändern, aber Ihr könnt Euch auch nicht länger davor verstecken. Ich bin Eure Tochter, und ich liebe Euch. Ich verdiene es, die Wahrheit zu erfahren.«
Er lächelte reumütig und legte für einen Moment die Hand an ihre Wange. »Du bist der einzige Teil von ihr, den ich je festhalten konnte, der einzige Teil von ihr, der mich je geliebt hat.«
Bei der Erwähnung ihrer Mutter begann sich etwas Beunruhigendes in Rainas Magen bemerkbar zu machen. »In welchem Zusammenhang steht meine Mutter mit dem, was zwischen dir und den Rutledges geschehen ist? Was hat sie mit alledem zu tun?«
»Sie hat alles damit zu tun … und auch gar nichts.« Seine Stimme wurde zu einem Flüstern. »Ich wünschte, sie hätte mich geliebt, ein wenig nur. Ich hätte mich damit zufriedengegeben.«
Raina schloss die Augen, als sie dieses Eingeständnis hörte, eine weitere Unwahrheit. Ihr Vater hatte ihr immer erzählt, seine Ehe sei eine Liebesheirat gewesen und es wert, von Barden besungen zu werden. War überhaupt irgendetwas, das sie geglaubt hatte, wahr?
»Ich habe dich in vielen Dingen belogen, weil ich mich geschämt habe, Tochter. Erst jetzt begreife ich die wahre Bedeutung dieses Wortes.« Er entfernte sich einige Schritte von ihr, als könnte er nicht sagen, was gesagt werden musste, wenn er ihr dabei in die Augen sah.
»Entgegen dem, was ich dir erzählt habe, hat deine Mutter mich nicht aus freiem Willen geheiratet. Sie war mit einem anderen verlobt, als ich ihr das erste Mal begegnete. Die liebreizende Margareth … das schönste Geschöpf, das ich je gesehen habe. Schon im allerersten Augenblick hatte ich beschlossen, dass sie mir gehören sollte. Sie liebte einen der Ritter ihres Vaters, aber er besaß weder Land noch hatte er Aussichten auf Ruhm oder Wohlstand. Zu meinem Vorteil war ihr Vater ein verschrobener Mann, dem Ehrgeiz viel bedeutete. Was mir an Reichtum fehlte, machte ich durch Tatendrang und Strebsamkeit wett. Er versprach mir ihre Hand, und in den darauffolgenden Wochen wurden wir getraut.
Unsere Heirat war der Anfang meines Abstiegs. Sie war so edel, ging all ihren Pflichten mit Anmut nach. Für jeden, der uns sah, waren wir das Bild ehelicher Harmonie. Niemand außer uns beiden wusste, welche Farce es war. Wir sprachen kaum miteinander, abgesehen von Dingen des Haushalts. Nach einigen Jahren erreichte uns die Kunde, dass der Ritter, den sie geliebt hatte, in einer Schlacht gefallen war. Während sie weinte, freute ich mich darüber, weil ich hoffte, dass ich sie jetzt endlich für mich gewinnen konnte.«
Raina litt aufgrund des Verlustes ihrer Mutter, aber sie streckte die Hand nach ihrem Vater aus, um ihn zu trösten. Sie hatte nicht gewusst, was für ein schwacher Mensch er war. »Ach Vater, wie muss es Euch geschmerzt haben, mit diesen Gefühlen zu leben.«
»Weine nicht meinetwegen«, sagte er schroff. »Das Schlimmste hast du noch nicht gehört. Nach dem Tod dieses Mannes wollte sie eigentlich nicht mehr leben. Sie zog sich von allem zurück, was ihr Freude gemacht zu haben schien. Ihr Lächeln, das ohnehin nur selten zu sehen war, verschwand ganz, ebenso ihr Weinen. Sie war nur noch die Hülle der Frau, die mich so gefangen genommen hatte. Aber ihre Schönheit blieb unverändert, und andere Männer warben um ihre Gunst.«
Er sah Raina an und seufzte traurig. »Als sie mit dir schwanger wurde, sah ich das als Hoffnung für etwas, das wahr werden könnte. Der Gedanke an ein Kind brachte Freude in ihr Leben … und in meines. Aber unser Glück sollte nicht lange währen. Ich will verflucht sein, aber ich habe es nicht zugelassen; ich konnte einfach nicht glauben, dass es dieses Glück wirklich gab. Nach deiner Geburt – immer wenn ich dich angesehen habe – habe ich in dir jeden Bauernburschen gesehen, der es gewagt hatte, sie in unseren gemeinsamen Jahren anzusehen. Eifersüchtige Verdächtigungen verschlangen mich. Ich konnte meine Zweifel nicht abschütteln, und deshalb habe ich sie … dafür bestraft.«
Raina schloss die Augen, als die Bedeutung seines Geständnisses ihr bewusst wurde. Hier war sie, die Antwort auf das Rätsel, auf die Verzweiflung ihrer
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