Ritter 01 - Die Rache des Ritters
überlebenden Tiere streunten orientierungslos umher.
Geistesabwesend setzte der Baron den Krug an die Lippen. Dann zögerte er, denn ihm schlug aus dem berauschenden Bouquet des Weins ein Leben voller Zorn und Leere entgegen. Der Alkohol hatte ihm seine Jugend geraubt; wollte er wirklich zulassen, dass er von Neuem Einlass in sein Leben fand?
Der Schmerz über das, was er verloren hatte, wallte so stark in ihm auf, dass er beinahe den Krug hätte fallen lassen. Aber es war das Versprechen des Rausches, das ihn damit lockte, die alten Erinnerungen verdrängen zu können. Er neigte den Krug und nahm einen tiefen Zug, schenkte dem Rinnsal, das ihm aus dem Mund lief und seine feine Tunika aus Seide befleckte, keine Beachtung.
Nach den langen Jahren seiner Abstinenz biss ihn der Wein in der Kehle, brannte sich einen glühenden Weg in seinen Magen und schenkte eine willkommene – obgleich kurze – Ablenkung von dem Schmerz, der sein Herz umfangen hielt, nein, seine ganze Seele. Die bittere Hitze bewirkte einen Hustenanfall, der sich aber bald wieder legte, der nachließ, um einer tröstenden, warmen Weichheit Platz zu machen, von der der alte Baron fast vergessen hatte, dass es sie gab.
Wie leicht wäre es, dachte er, seine Schuld mit Wein zu betäuben. Wie verlockend der Gedanke, in dem Nebel eines Rausches zu ertrinken und seiner Angst und seinen Schuldgefühlen zu entfliehen, wenn auch nur für wenige Stunden. Ein weiterer Schluck noch, und er wusste, er würde sich nicht mehr beherrschen können, und den ganzen Krug leeren. Noch ein Schluck und er wäre wieder verloren, vielleicht für immer. Aber was kümmerte ihn das!
Er hatte nichts mehr zu verlieren. Der Baron strich über den Krug, fast ehrfürchtig, dann lachte er laut.
Es war wahr; ohne Raina zählte nichts mehr. Er hatte sie in all diesen Jahren vor Schmerz und Schaden beschützt, hatte sie umsorgt – seine Tochter, das einzig Gute, das er in seinem verderbten Leben zustande gebracht hatte. Es war ihm gelungen, den Schmutz seiner zurückliegenden Missetaten zu vergraben, hatte sich aus Liebe zu ihr des Trinkens enthalten – aus Angst, sie zu verlieren, würde sie jemals erfahren, was für ein Mann ihr Vater in Wirklichkeit war. Und jetzt war sie fort.
Mürrisch starrte Luther d’Bussy in den Krug. Dann setzte er ihn an die Lippen und trank. Er wischte sich mit dem Unterarm über den Mund, hustete und keuchte unter der starken Wirkung des Weines.
Bittere Tränen füllten seine Augen, brannten wie Feuer, während der Schmerz in seiner Brust anschwoll und ein unerbittliches Schuldgefühl an seinem Herzen zu nagen begann. Ein Rumpeln begann in seinem Magen und kroch langsam höher, bis erst sein Kopf und dann der ganze Turm erfüllt waren von dem qualvollen Schluchzen eines Mannes, der alles verloren hatte.
Irgendwo in der Ferne heulte ein Wolf, als Rutledge sein Pferd durch das Gehölz trieb, dicht gefolgt von zwei Reitern. Raina fühlte jeden donnernden Schritt des Tieres, jede Bewegung erschütterte sie bis auf die Knochen so hart, dass sie fürchtete, aus dem Sattel geworfen zu werden. Aber jeder heftige Ruck wurde von Rutledges festem Halt um ihre Taille abgefangen, sein starker, muskulöser Arm hielt sie sicher an seine harte Brust gedrückt.
Raina machte sich die größten Vorwürfe, ihm so leicht in die Hände gefallen zu sein. Sie hätte eher sterben sollen, als sich von ihm entführen zu lassen. Die Tatsache, dass er sie nicht getötet hatte, machte sie nur noch wütender, denn das konnte nur bedeuten, dass der Mann vorhatte, sie auf irgendeine Weise zu benutzen, um an ihren Vater heranzukommen. Sie dachte an ihren armen Vater, der vor Schmerz über ihre Entführung außer sich sein würde. Sie wusste, dass er alles für ihre sichere Heimkehr tun würde.
Dieser Gedanke hätte sie eigentlich trösten sollen, tat es aber nicht. Rutledge baute vermutlich auf die Liebe ihres Vaters zu seiner Tochter und würde das zu seinem Vorteil nutzen. Trotz aller Anstrengungen, diesen Gedanken zu verdrängen, beschwor ihre Fantasie alle möglichen Bilder herauf, eines schrecklicher als das andere.
Sie musste tapfer sein, sich aus Rutledges eisernem Griff herauswinden, ungeachtet der möglichen Folgen. Oder vielmehr gerade in Anbetracht der Folgen. Die Hufe der Pferde würden sie sicherlich innerhalb kürzester Zeit zertrampeln. Wenn sie tot wäre, würde Rutledge kein Druckmittel zum Verhandeln haben, und ihr Vater bliebe verschont.
Raina schloss die
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