Ritter 01 - Die Rache des Ritters
noch länger mit ihr zu teilen. Nachdem er seine Männer barsch angewiesen hatte, auf ihre Pferde zu steigen, wies er Raina Nigels Hengst zu, der an sein schwarzes Ross angebunden war. Rutledge sah sie weder an noch richtete er in den Stunden, die sich noch bis zur Morgendämmerung erstreckten, das Wort an sie und nahm sie nur zur Kenntnis, wenn sie sich einen Augenblick Alleinsein erbat, um sich zu erleichtern.
Mit dunklen, umschatteten Augen beobachtete er sie, als sie aus dem Gebüsch zurückkam. Cedric führte sie am Ellbogen, als würde sie tatsächlich erwägen, zu Fuß zu fliehen. Sie erwiderte Rutledges intensiven, starrenden Blick ebenso bohrend, ging zu ihrem Pferd und lehnte Cedrics Angebot ab, ihr in den Sattel zu helfen.
Ihr erster Versuch misslang, ihre Röcke behinderten sie, und die nackten Füße waren keine große Hilfe, um auf ein großes Schlachtross zu steigen. Natürlich half ihr Rutledges eisiges Anstarren auch nicht dabei. Sie versuchte es wieder, stieg in den Steigbügel und hievte sich hoch. Vor Anstrengung stöhnte sie. Sicherlich war es nicht die anmutigste Art, in den Sattel zu steigen, aber die Anmut musste in diesem Fall hinter ihrem Stolz zurückstehen, dachte sie und schwang ihr Bein über den breiten Rücken des Tieres. Während sie sich im Sattel zurechtsetzte, warf sie Rutledge einen vernichtenden Blick zu und hob das Kinn. Er grinste, wandte sich in seinem Sattel um und setzte den Ritt fort.
Bei Gott, sie verabscheute diesen Mann, verabscheute ihn aus ganzem Herzen! Nachdem Raina, wie es ihr vorkam, Stunde um Stunde auf seinen Rücken und seinen Hinterkopf gestarrt hatte, beschloss sie, sich die Zeit damit zu vertreiben, seine Fehler aufzulisten. Und sie würde mit dem lästigsten beginnen. Ganz oben auf der Liste stand seine Arroganz, womit er im Überfluss ausgestattet war. Zudem war er stur und stolz, herrisch und mürrisch, verdrießlich ernst und meistens ungeduldig und – nicht zu vergessen – er war sich seiner Wirkung auf eine geradezu lächerlich aufgeblasene Weise bewusst.
Sein rabenschwarzes Haar war zu lang und zu ungebärdig, seine Gesichtszüge viel zu streng, um freundlich zu wirken. Er lächelte kaum, trotz der Tatsache, dass seine Zähne beneidenswert weiß und gerade waren, und auch wenn er ihr während der Rast in der vergangenen Nacht einige bescheidene Annehmlichkeiten zugestanden hatte, so bezweifelte sie doch, dass auch nur ein Funke Großzügigkeit und Nettigkeit in seinem Körper wohnte.
Sein Körper.
Hier musste Raina sich anstrengen, einen Makel zu finden, einmal abgesehen davon, dass er stark genug aussah, sie mit bloßen Händen entzweibrechen zu können, groß genug, um eine Frau zu zerdrücken, falls er Anlass haben sollte, sich auf sie zu legen. Wenn er auf ihr liegen würde. Das Bild tauchte ganz unerwartet vor ihr auf, und mit ihm einher ging eine plötzliche Hitze, die ihr in die Wangen kroch und sich an Stellen ausbreitete, die unschicklich tiefer lagen. Hör auf, an seinen Körper zu denken, ermahnte sie sich und kehrte zu der Liste seiner Schwächen zurück. Grob, rüde, überheblich – hatte sie das schon angeführt? – , unerträglich, provozierend, abscheulich …
Der Anblick eines kleinen Turms, der in der Ferne aufragte, riss sie aus ihren Überlegungen und ersparte ihr, sich darüber zu ärgern, dass ihr bald die Punkte für die Liste ausgegangen wären, von der sie angenommen hatte, sie ließe sich endlos fortsetzen.
Auf Rutledges Zeichen hin fiel die Reiterschar in einen raschen Galopp, als sie auf den Turm zuhielt. Während die Männer, bis auf Rutledge, der Handvoll Soldaten, die auf den Wehrgängen standen, Grüße zuriefen, nahm Raina stumm das Bild dessen auf, was der Schlupfwinkel ihres Entführers zu sein schien. Die Morgendämmerung hatte gerade begonnen, über den Horizont zu kriechen und bemalte den Himmel mit rosafarbenen Streifen. Ihr Licht überzog den quadratischen Turm mit der alten, zerbröckelnden Festungsmauer mit einem warmen, willkommen heißenden Glanz. Feiner Nebel bedeckte den Boden am Fuß des schroffen Burghügels und verlieh dem, was angesichts der nötigen Reparaturen und der Lage in diesem verlassenen Winkel des Nordlandes bescheiden zu nennen gewesen wäre, ein beinahe ätherisches Aussehen.
Das Land, das den Turm umgab, breitete sich vor Raina in einer atemberaubenden Mischung aus gelben und weißen Wildblumen, Polstern von blasslilafarbener Heide und üppigen grünen Grasflächen aus – noch
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