Ritter 01 - Die Rache des Ritters
hatte sie zulassen können, dass er sie auf so intime Weise berührte? Sie spürte seine Hände noch immer und verfluchte ihre Hurenseele, aber sie war dennoch entschlossen, die Erinnerung an seine Berührung für immer in ihrem Herzen zu bewahren.
An welchem Wahnsinn litt sie, dass sie so einfach alle seine verräterischen Taten für einen Moment gestohlener Lust verdrängen konnte? Sie war ausgezogen, ihn dafür zu schelten, dass er Alaric misshandelt hatte, und das Ende vom Lied war, dass sie ihn stattdessen Dinge mit ihr hatte machen lassen, die zu tun niemand das Recht hatte. Es schockierte sie über alle Maßen, dass ihr die Tatsache nichts ausmachte, dass er sich als Lügner und Rohling erwiesen hatte, vielleicht sogar ein kaltblütiger Mörder war. In Wahrheit war sie bemüht, Entschuldigungen für ihn zu finden und zu glauben, dass er unter seiner stahlharten Schale ein warmes Herz besaß. Was für eine Närrin sie doch war!
Raina schlug den Saum ihrer nassen Röcke über den Arm und schlüpfte durch das offene Burgtor und über den Hof. Alles, was sie jetzt wollte, war, allein zu sein, niemals wieder in sein Gesicht schauen zu müssen und zu sehen, wie ihre Scham sich in seinem kalten Blick widerspiegelte! Alles, was sie wollte, war, zu Hause zu sein, in den schützenden Armen ihres Vaters.
Sie lief am Hühnerstall vorbei und scheuchte eine Handvoll Hennen auf, die aufgeregt in alle Richtungen davonstoben. Sie gackerten und beklagten sich lärmend und übertönten Rainas keuchenden Atem. Als sie den Stall erreichte, blieb sie stehen, duckte sich um die Ecke des Gebäudes und lehnte sich mit dem Rücken an die kalte Mauer. Sie presste den Handrücken auf den Mund und versuchte, ihre Fassung zurückzugewinnen, ehe sie den Turm betrat. Niemand von den Menschen dort drinnen sollte von ihrer Schande wissen. Es war schlimm genug, dass er sie kannte; von allen ausgelacht zu werden würde ihr Tod sein.
Raina atmete noch einmal tief durch, als sie hörte, wie die Stalltür knarrend geöffnet wurde. Alaric tauchte an der Ecke des Stalles auf. Seine Miene spannte sich an, als er Raina sah, und er ging eilig weiter und auf den Turm zu.
»Alaric!« Raina vergaß ihre Sorgen für einen Moment und lief ihm nach, um sich bei dem Jungen zu entschuldigen und sich davon überzeugen, dass es ihm gut ging. »Alaric, bitte, ich muss mit dir sprechen.«
Der Junge warf ihr über die Schulter hastig einen Blick zu, dann ging er noch schneller. Raina sank das Herz, als sie sah, dass der junge Mann, der sie einst mit so viel Zuneigung betrachtet hatte, jetzt vor ihr floh. Ich verstehe ihn ja, dachte sie reumütig.
»Alaric, halt!«, rief sie. »Ich verlange, dass du stehen bleibst und mir zuhörst.« Auf ihren direkten Befehl hin blieb der Junge stehen. Er verharrte bewegungslos und wandte ihr den Rücken zu, als sie näher kam.
»Ich darf nicht mit Euch sprechen, Mylady.«
»Hat er dir das gesagt?«
Alaric nickte. »Mylord hat es verboten.«
»Und ist es auch das, was du willst?«
Endlich drehte er sich zu ihr um. »Es ist egal, was ich möchte, Mylady. Ich bin ein Squire und auf dem Weg, ein Ritter zu werden, und mir wurde ein Befehl gegeben. Ich werde ihn befolgen.« Seine Augenbrauen waren entschlossen zusammengezogen, aber seine Augen sahen sie mit derselben Freundlichkeit an wie immer.
Sie lächelte und berührte seine Wange in einer entschieden mütterlichen Geste. »Es tut mir leid, was du meinetwegen hast erdulden müssen. Kannst du mir in deinem Herzen je dafür vergeben?«
»Da ist nichts zu vergeben, Mylady. Ihr habt Euch genauso verhalten, wie Lord Gunnar es vorausgesagt hat.«
»Aye, aber du musst wissen, dass ich keine Ahnung hatte, dass du dafür würdest bezahlen müssen.« Der Junge sah sie verständnislos an. »Hat es sehr wehgetan?«
»Nein, Mylady«, sagte er und schüttelte den Kopf. »Euer Schlag war sehr wirkungsvoll, aber glücklicherweise habe ich einen harten Schädel und bin mit einer Beule davongekommen.«
»Oh Himmel, ja, dein Kopf!«, rief sie und erinnerte sich plötzlich wieder an den Schlag, den sie ihm versetzt hatte. »Auch das tut mir schrecklich leid. Aber ich meinte die Bestrafung durch seine Hand.«
»Mylady?« Alaric sah sie verwirrt an.
»Ich hätte die Prügel verdient, nicht du. Ich vermute, es war irgendeine verrückte Auffassung von Gerechtigkeit, dich statt meiner zu bestrafen.«
»Oh nein, das habt ihr missverstanden, Mylady. Mylord hat mir nur eine Lektion
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