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Ritualmord

Titel: Ritualmord Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Mo Hayder
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Widerschein einiger Neonlichter auf dem Randstein. Er ging bis zur Straßenecke und inspizierte jede Haustür, jede Nische in den Konturen der alten Ziegelmauern. Dann kehrte er zum Wagen zurück. Keelie hatte die Innenbeleuchtung eingeschaltet und starrte mit fahlem, angstvollem Gesicht zu ihm heraus. Er wusste, was sie dachte – es war, als wäre da jemand an ihnen vorbeigeflogen, einmal auf die Motorhaube geprallt und dann spurlos verschwunden. Oder – weil die Vorstellung, dass jemand vorbeiflog, verrückt war – als hätte die ganze Zeit jemand auf der Motorhaube gesessen und wäre heruntergesprungen und weggerannt, als der Sex vorbei war, und hätte sich irgendwo versteckt, wo sie ihn nicht sehen konnten.
    Caffery hatte eine Idee. Vorsichtig und leise schnallte er seinen Gürtel zu. Mit offener Hose zieht man nicht in den Krieg. Er krempelte die Ärmel hoch, legte sich auf das kalte Pflaster und rollte auf die Seite, nah genug an den Rädern, um unter den Wagen zu schauen, aber nicht so nah, dass er nicht ausweichen könnte, wenn sich etwas auf ihn stürzen sollte. Er legte den Kopf auf den Randstein und spähte unter den Wagen. Da war nichts, nur Benzingeruch und das leise Summen der Straßenlaterne, deren orangegelbes Licht auf die Straße fiel. Mit einem Absatz schob er sich unter den Wagen und spähte hinter die Räder, aber auch da war nichts. Er rollte sich zurück und wandte das Gesicht zum Himmel, zu den Wolken. Er ließ seinen Blick über die Dächer der Häuser wandern und dachte angestrengt über das Gefühl nach, das er hatte: beobachtet zu werden. Auch jetzt noch.
    Nach einer Weile stand er auf, klopfte seine Hose ab und 
    dachte über Autofederungssysteme nach und ob sie sich verhaken konnten. Vielleicht konnte ein Federblatt an einem Wagen eine Weile klemmen, bis eine Bewegung im Innern sie löste und unerwartet aufschnellen ließ.
    Keelie starrte ihn immer noch an, und er hob kurz die Hand. Das Bedürfnis, sie noch einmal zu nehmen, war verschwunden, aber er wusste, dass er mit ihr sprechen musste, und der Gedanke daran machte ihn müde. Hinter dem Umzug nach Bristol hatte mehr gesteckt als nur der Wunsch, London zu verlassen. Es war auch eine Kapitulation gewesen, die Einsicht, dass er niemals dem Menschen begegnen würde, der verstand, wie Schuld- und Verlustgefühle einem das Leben herausquetschen konnten. Schon vor langer Zeit hatte er aufgehört, Frauen anzusehen und zu glauben, eine von ihnen könnte es ihm zurückgeben.
    Ja, dachte er jetzt, als er in der Tasche nach einer Zigarette wühlte und die Hausfassaden absuchte, ob ihm vielleicht etwas entgangen war, das lag schon lang hinter ihm. Und das Leben war umso leichter.
    8
    13. Mai
    Nach dem Tauchen im Hafen waren Fleas Beine schwer wie Blei. Sie spürte jede Sekunde ihrer neunundzwanzig Lebensjahre. Als Bristol hinter ihr lag, fuhr sie langsamer, hielt dann in einer Parkbucht an, stellte den Motor ab und nahm den Beutel mit den Pilzen aus dem Handschuhfach. Einen Augenblick lang saß sie da und starrte sie an. In ihrem Kopf zogen die letzten, sich langsam auflösenden Bilder vorüber. Wir sind in die 
    andere Richtung gegangen. Sie hätte am liebsten den Beutel geöffnet und sich die Pilze in den Mund geschaufelt. Mehr als alles andere wollte sie wieder in diesem Wald sein und diesen Weg entlanggehen; sie wusste, dass ihre Mutter immer noch dort hockte und die Hundsveilchen anschaute.
    Aber sie tat es nicht. Sie legte die Pilze wieder ins Handschuhfach und wühlte ihr Telefon hervor. Als sie am Abend ihre SMS gecheckt hatte, war eine von Tig dabei gewesen. Die Ironie gefiel ihr: Tig, einer der wenigen Menschen in ihrem Leben, die alles, buchstäblich alles an ihrem Verlangen nach diesen Pilzen verstehen würden, schickte ihr nach dreimonatigem Schweigen ausgerechnet an diesem Abend eine SMS. Als hätte er ihre Gedanken gelesen. Seine Wohnung lag in der Sozialbausiedlung Hopewell, nicht weit von hier – die Straßen waren so ruhig, dass sie in zwanzig Minuten da sein könnte. Es wäre wohltuend, ihm von Dad und den Drogen und dem Trip zu erzählen und dass sie sie noch einmal nehmen und in den Wald zurückkehren wollte, wo Mum wartete. Aber dann dachte sie daran, wie sorgfältig die Pilze in die Schmuckrolle eingewickelt gewesen waren, dachte an ihren Vater, wie er mit dem Kissen auf dem Gesicht auf dem Sofa gelegen hatte, und sofort wusste sie, dass es jemanden gab, der das alles noch besser entwirren könnte als Tig. Jemanden,

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