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Ritus

Ritus

Titel: Ritus Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Markus Heitz
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alle Fälle«, bemerkte Malesky, der bereits ein breites Grinsen im Gesicht trug.
    »Ein Garou altert langsamer und wird leicht über hundert Jahre alt, selbst wenn er äußerlich noch immer einem Dreißigjährigen gleicht. Seine Zähne fallen niemals aus und sind weiß wie Schnee, er betritt niemals geweihten Boden …«
    »Und wie kam er dann in die Kapelle?«, hakte Malesky auf der Stelle ein. »Es sind wohl einige Unwahrheiten darin enthalten.«
    »Ein Loup-Garou hasst Hexen und Magier und bekämpft sie, wo er sie finden kann, denn er selbst fürchtet ihren Zauber, obwohl er selbst Zauber wirkt.« Jean las, und sein Unglaube wuchs von Zeile zu Zeile. »Seine Augen schlagen den Frömmsten in seinen Bann, seine Stimme verleitet den Freundlichen zur Übeltat oder lockt die Jungfrau vor der Hochzeit ins Bett, wo er ihr die Jungfräulichkeit raubt. Sein Heulen schlägt jeden in die Flucht, sein Biss reißt Wunden, die niemals mehr heilen, und die Krallen sind hart wie geschmiedetes Eisen und schneiden Marmor und Steine wie Wachs.« Er senkte das Blatt. »Äbtissin, wollt Ihr uns das Fürchten lehren? Geht es nach dem Verfasser dieser fragwürdigen Wahrheiten, brauchten wir himmlische Heerscharen an unserer Seite, um gegen einen Garou zu bestehen.«
    »Geht es noch weiter?«, meldete sich Malesky und stopfte sich eine Pfeife. »Ich höre gerne Märchen.«
    »Ihr werdet Gefallen daran haben«, bereitete ihn Jean vor, weil seine Augen bereits über die kommenden Sätze geschweift waren. »Das Opfer eines Loup-Garou muss als Geist bei ihm bleiben und ihm so lange zu Diensten sein, bis der Garou stirbt. Meine Güte …« Er holte Luft. »Der Vollmond soll sie angeblich schützen, wenn sie sich in seinem Licht baden: Jede Klinge wird an ihrem Fell klirrend bersten.«
    Er unterbrach sein Vorlesen, weil Malesky zu lachen begonnen hatte. Er krümmte sich vor Heiterkeit auf der Bank, legte seine Pfeife vorsichtshalber auf den Tisch, damit er sie nicht fallen ließ, und wedelte mit den Armen in der Luft. »Aufhören, Monsieur Chastel, aufhören«, bat er japsend und rieb sich über die kurzen grauen Haare. »Ich zerspringe!«
    Gregoria musterte ihn wütend. »Monsieur Malesky, Ihr bringt meinen Bemühungen, Euch und Monsieur Chastel das Leben zu retten, nicht gerade Respekt entgegen.«
    »Ich erkenne Eure Bemühungen an, ehrwürdige Äbtissin.« Er wischte sich die Heiterkeitstränen von der Wange. »Ihr hattet Recht mit Eurer Vermutung: Ich verfüge über Kenntnisse. Die eine oder andere Sache, die Monsieur Chastel vorgelesen hat, mag zutreffen, doch ich weiß davon jedenfalls nichts. Es mag noch andere Dinge geben, um Wandelwesen aufzuhalten, aber ich bevorzuge Silber, egal ob Messer oder Kugel, um eine von diesen Kreaturen zu vernichten.« Malesky ging zum Kamin, nahm einen glimmenden Span und entzündete seine Pfeife. »Beides wirkt.«
    »Ihr wisst also von ihnen?« Gregoria starrte ihn an. »Dann seid Ihr im Auftrag des Heiligen Vaters ins Gevaudan gekommen?«
    »Nein, ehrwürdige Äbtissin. Ich reise in meinem Auftrag«, entgegnete er schmauchend. »Es sind persönliche Gründe, die mich dazu brachten, meinen Kreuzzug gegen sie zu starten, um bei Eurer Wortwahl zu bleiben. Mit dem Vatikan habe ich sicherlich nichts zu schaffen. Allah war mir in Moldawien näher als der christliche Gott.«
    Krachend schlug ein Fensterladen zu; der Wind hatte die Verankerung gelöst und schleuderte die Abdeckung hin und her.
    »Der Sturm hat zugenommen«, sagte Jean und ging zur Tür.
    »Wo sind Eure Söhne, Monsieur?«, erkundigte sich Gregoria. »Sie sind doch nicht etwa bei diesem Wetter im Wald und suchen nach der Bestie? Haben sie die Kreatur in der Kapelle gestellt?«
    »Antoine und Pierre sind … in einer kleinen Hütte, nicht weit von hier. Seid unbesorgt«, wiegelte er freundlich ab und trat hinaus. Sie sahen ihn vor dem Fenster erscheinen und eisige Böen an seiner Kleidung und seinen weißen Haarlocken zerren, während er versuchte, den störrischen Fensterladen zu bändigen.
    »Ihr werdet heute Nacht nicht mehr nach Saint Grégoire gelangen.« Malesky betrachtete die Flocken, die beinahe waagerecht an dem Glas vorbeiflogen, bis der Wildhüter ein Fenster nach dem anderen von außen verschloss. »Richtet Euch darauf ein, hier zu bleiben.« Er tippte sich mit dem Mundstück der Pfeife gegen die Brust. »Und übrigens: Ich war das in der Kapelle, ehrwürdige Äbtissin. Die Bestie überraschte mich beim Gebet. Ich musste mich

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