Ritus
gesehen habt, seid getrost, dass auch sie Unterschlupf suchen wird. Jagt sie nach dem Sturm.«
Pierre überlegte kurz und willigte dann ein. Er nahm sein Jagdhorn vom Gürtel und blies laut hinein, um Bruder und Vater nach seinem Schuss zu übermitteln, dass es ihm gut ging und er die Bestie nicht erlegt hatte. Trotz des heulenden Windes vernahmen sie die schwachen Erwiderungen des Signals. »Gehen wir.«
Chateauneuf schritt voran, Pierre folgte ihm. Gemeinsam trieben sie die Schafe auf den Weg zur Herde zurück und machten sich weiter an den Abstieg, während der Winter ihnen bewies, dass er nicht mit sich spaßen ließ.
»Es wird zu gefährlich«, schrie der Junge gegen das Brüllen des Sturms und deutete mit dem Stab auf einen Stall. »Es ist nicht unsere Hütte, aber sie wird uns als Unterstand dienen, bis sich das Wetter beruhigt hat.«
Pierre half ihm, die Tiere in den dunklen Raum zu treiben. Es roch nach altem Kuhmist und Schafen; die gefrorenen Fladen am Boden waren hart wie Stein, und es lag ein wenig Heu auf der gestampften Erde. Der Hirte entzündete eine Laterne, die an der Steinwand an einem langen Haken hing. Sofort hatten beide das Gefühl, es würde mit dem Lichtschimmer etwas wärmer im Stall.
Das vier Schritt breite und fünf Schritt lange Gebäude war aus Granitblöcken hochgezogen worden, als Dach diente eine einfache Konstruktion aus Balken und Schieferschindeln. Ein zweites Stockwerk war in der hinteren Hälfte mit groben Bohlen und Brettern eingezogen worden; dort lagerten kleine Vorräte an Heu und Stroh.
Die Schafe drängten sich dicht zusammen, um sich gegenseitig zu wärmen, und blökten leise. Auch sie waren froh, dem eiskalten Wind entkommen zu sein, der durch die Ritzen der Tür pfiff und sein frostklirrendes Lied sang.
»Ihr jagt die Bestie, Monsieur?«, fragte Chateauneuf, dessen Atem als weiße Wolke aus dem Mund drang. In der jungen Stimme schwang Anerkennung mit.
Pierre stellte die Muskete in die Ecke und lächelte über die Bewunderung, die ihm zuteil wurde. »Manche würden es töricht nennen«, gab er grinsend zurück. Er klappte den Kragen nach unten und entfernte den Schal. »Aber wir wissen genau, was wir tun. Die Bestie kann uns nicht überraschen.« Er setzte sich auf ein Bündel Heu und streckte die Beine aus.
»Und wie wollt Ihr sie töten?« Chateauneuf blickte zum Gewehr. »Ich habe die Leute sagen hören, dass die Bestie unverwundbar ist. Sie sei mehr als ein Dutzend Mal getroffen worden und würde ihren Häschern immer wieder entkommen. Ist Euer Gewehr etwas Besonderes, Monsieur?«
»Nein. Aber ich kann im Gegensatz zu den anderen gut schießen«, erwiderte er und lachte leise. Er suchte in seinem Proviantbeutel etwas Brot und Schinken heraus, erwärmte das halb gefrorene Fleisch über der Lampe und bot dem Jungen einen Bissen an.
Dankbar nahm Chateauneuf den Schinken. »Ihr habt Euch den Dragonern nicht angeschlossen, Monsieur. Warum?«, wollte er kauend wissen.
Pierre schob sich den Hut in den Nacken. »Sie haben keine Ahnung von der Jagd. Ihre Fallen bringen nicht viel. Sie mögen auf ihren Pferden schick aussehen, aber zu mehr taugen sie in diesem Gelände nicht. Ihre Fußsoldaten sind nicht viel besser.«
Der Junge nickte. »Das sagt mein Vater auch. Sie verkleideten sich schon als Frauen, um die Bestie in einen Hinterhalt zu locken, aber es brachte nichts.«
»Wäre ich die Bestie, würde ich auch keine Frau fressen wollen, die Stoppeln im Gesicht hat, nach Schnaps stinkt und furzt wie ein Dachs.« Er schnitt sich noch ein Stück vom geräucherten Fleisch herunter. »Das Schlimme ist, dass sich fremde Jäger im Gevaudan herumtreiben, die ebenso unvermögend sind wie Duhamel und seine Männer. Die Bestie weicht ihnen aus und wird bald in anderen Gebieten zuschlagen, Vivarais oder Margeride. Man muss sie in Sicherheit wiegen, damit sie einen Fehler begeht.«
Chateauneuf betrachtete den Jäger aufmerksamer als vorher. »Habt Ihr der Bestie etwa schon einmal gegenübergestanden, Monsieur? Ihr klingt so …« Er horchte kurz, weil er ein leises Rascheln vom Heuboden gehört hatte. Wahrscheinlich suchten dort Mäuse ihr karges Futter.
Pierre lehnte sich mit dem Rücken gegen die Wand, lockerte den Kragen und öffnete die Kleidung. »Ja, wir haben sie schon einmal gestellt, aber sie entkam, ehe wir einen Schuss abgeben konnten. Ihr Fell macht sie im Unterholz so gut wie unsichtbar.« Die Körperwärme strömte dampfend in den eisigen, windstillen
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