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Ritus

Ritus

Titel: Ritus Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Markus Heitz
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Tränke werden sie hoffentlich vor meinem Schicksal bewahren.«
    »Ich hoffe es. Dennoch sind dein Bruder und du die bemitleidenswertesten von allen Opfern der Kreatur«, sagte Jean hart. »Nicht ihn trifft die Schuld an dem, was er anrichtet.« Er schulterte seine schwere Waffe. »Es gibt nur einen Verantwortlichen für die Morde und Verstümmelungen. Und den ziehen wir zur Verantwortung.« Er dachte an das Papier mit der Formel, die seine Söhne von der Lykantrophie befreien sollte. Ohne das Blut der Bestie gab es keine Rettung für sie.
    Schweigend umrundeten sie das Moorloch und machten sich an die Verfolgung der Blutspuren, die Antoine auf dem weißen Boden und an den Hecken hinterlassen hatte. Vermutlich würden sie ihn in einem Gebüsch neben seinen Kleidern finden, den Mund rot vom Blut der Kinder, die Augen weit aufgerissen und sein Verstand noch umfangen vom letzten weichenden Rest der Bestie in ihm.
    Wie oft noch?, dachte Jean betrübt und wütend zugleich.
     
    11. Februar 1765, in der Nähe von Malzieu, Südfrankreich
    »Mein Gott. Es sind so viele.«
    Der leise, bestürzte Ausspruch von Pierre Chastel, der neben seinem Vater stand, wurde von den Umstehenden nicht vernommen. Dafür machten sie zu viel Lärm. Stiefel eilten über Stein, Schnee, Gras und durch Pfützen, Pulverhörner schlugen klappernd an Gürtel, Trinkflaschen gluckerten, aus Proviantrucksäcken drang stetes Scheppern und Rasseln. Eine ungewöhnliche Armee befand sich auf dem Marsch.
    Die beiden Wildhüter liefen in einer Kolonne von gut und gerne zweihundert Jägern, die aus allen Ecken des Königreichs ins Gevaudan gekommen waren, um sich die Belohnung zu verdienen, welche von König Louis dem Fünfzehnten auf den Kopf der Bestie ausgesetzt worden war: Für zehntausend Livres lohnte es sich, Haus und Hof einige Monate lang zu verlassen. Und nicht nur die Franzosen brauchten Geld: Um sich herum hörten die Chastels ein wildes Gemisch verschiedener Sprachen, von denen sie gerade einmal Deutsch, Italienisch und Englisch erkannten. Die Bestie von Gevaudan war inzwischen berühmt, schlich durch die Zeitungen und Journale Europas und lockte auswärtige Jäger und Abenteurer an.
    Die Fremden schleppten bisweilen recht abenteuerlich anmutende Büchsen mit sich herum, hatten Visiere und sogar Fernrohre auf die Läufe montiert, um die Bestie mit dem perfekten Schuss zu töten. Ein Italiener keuchte unter der Last einer Belagerungsmuskete, die mindestens zwanzig Pfund wog und Kugeln von der Größe einer Mirabelle ausspie. Seine zwei Kumpane standen kurz davor, sich an der Holzhalterung einen Bruch zu heben.
    Jean machte sich ernsthaft Sorgen um das Wohl Antoines, und das aus zweierlei Gründen. Er war kurz nach dem Ereignis bei Villaret erneut dem Fluch der Bestie erlegen und nicht wieder zu Hause aufgetaucht. Die Zahl der Opfer stieg. Der Wildhüter fürchtete, dass sich die wahre Bestie seinem jüngeren Sohn genähert hatte und ihn zu weiteren Untaten anleitete. Und ihm zeigte, wie man noch besser tötete.
    Capitaine Duhamel und die Adligen der Region bliesen zu Großjagden. Duhamel hatte über die Provinzregierungen vierzigtausend Bauern aus allen umliegenden Pfarreien herbeibefohlen, um sie für den heutigen Tag als Treiber in die Wälder und über die Ebenen zu schicken, während Hundertschaften von Jägern auf Hügeln in Stellung gingen. Ein Gebiet von zweitausend Quadratmeilen wurde auf diese Weise aufwändig bejagt.
    Jean und Pierre befanden sich unter den Männern, um den in einen Loup-Garou verwandelten Antoine in irgendeiner Weise vor den tödlichen Kugeln zu schützen, hatten aber noch keine Vorstellung davon, wie sie das anstellen sollten. Einen Schützen konnte man anrempeln und ihn den Schuss verreißen lassen, aber bei hunderten von ihnen wurde daraus eine Unmöglichkeit.
    Sie waren auf dem Weg zu einer Anhöhe, von der aus man einen Waldsaum einsah. Ihre Abteilung bildete die zweite Linie, falls die Bestie den Kugeln der vierhundert Jäger auf der anderen Hügelkuppe entging. Dort befanden sich auch der junge Marquis d’Apcher und der junge Comte de Morangiès mit einem Pulk eigener Schützen. Letzteren motivierte die ausgesetzte Belohnung weit weniger als etwas anderes. Der arrogante, einflussreiche Comte hatte sich schon mehrmals öffentlich über die Unfähigkeit Duhamels beklagt und würde die Bestie sicherlich nur allzu gerne erlegen, um dem Capitaine eine weitere Demütigung zuzufügen. Jean pfiff laut, und der Dragoner

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