Rivalen der Liebe
Ziel gewesen war, seine Aussichten auf eine glänzende Zukunft mit ein paar völlig belanglosen, ja austauschbaren Zeilen zunichtezumachen, dann hatte sie statt Klasse verdammt viel Talent. Sie hat meine Zukunft zerstört und mich zu einem Leben in Armut verdammt !, dachte Roxbury bitter.
»Ich bin sicher, dass sich jemand für dich findet«, sagte Brandon. »Dir bleibt immer noch Lady Hortensia Reeves als mögliche Kandidatin.«
Lady Hortensia Reeves ließ wirklich viel zu wünschen übrig; sie war zwar eine einigermaßen angenehme Zeitgenossin, dafür aber eine alte Jungfer und eine recht kauzige Persönlichkeit. Sie sammelte all das, was andere als nutzlos empfinden würden: Stickereien, Briefmarken, Blätter, Insekten und anderen uninteressanten Kram. Die Tatsache, dass Lady Reeves all ihre Sammlungen sorgfältig sortiert und etikettiert hatte, bewahrte sie vor dem Urteil, nur eine mittelmäßige Horterin zu sein und verlieh ihr gar den Ruf, ein sehr engagierter Mensch mit vielen Hobbys zu sein. Ihr anderes großes Interesse war er, und ihre Hingabe war Roxbury nur allzu schmerzlich bewusst. Bevor er sich für den Rest seines Lebens an Lady Hortensia Reeves verschwendete, würde er so ziemlich jede andere heiraten. Wobei diese Überlegungen nach den Ereignissen des heutigen Tages wahrscheinlich ohnehin müßig waren, denn die Frage seiner möglichen Heirat lag nicht länger in seiner Hand – die Lady mit »Klasse« von der London Weekly hatte ihm seine Pläne gründlich verdorben.
Roxbury nahm noch einen großen Schluck vom Brandy aus der Flasche und starrte dann finster die älteren, langweiligen Lords an, die missbilligend zurückstarrten.
»Wirklich, es ist ganz und gar unverschämt, was dieses Weibsbild sich erlaubt hat«, fuhr Roxbury erbost fort. »Was sie da behauptet ist gedankenlos, rücksichtslos, unchristlich und verdammt noch mal gänzlich falsch! Sie setzt mein gesamtes weiteres Leben aufs Spiel! Meine Entscheidungen! Meinen Namen und meine Ehre!«
Roxbury sprang so unvermittelt auf, dass sein Stuhl hinter ihm auf den Boden polterte.
Alle Augen ruhten jetzt auf ihm.
Roxburys Sichtfeld war vom Alkohol getrübt, doch er erkannte er die Gesichter von Lord Derby und Biddulph, bemerkte aus dem Augenwinkel den alten Dandy Lord Walpole, den Erben des Earl of Selborne und einige andere mehr. Weil ihre Aufmerksamkeit ohnehin schon auf ihn gerichtet war, hatte Roxbury das Gefühl, er müsse etwas Bedeutendes sagen. Er nickte so erhaben und würdevoll wie möglich, machte eine weit ausholende Armbewegung und erklärte:
»Gentlemen, Sie alle sind vor meinen Annäherungsversuchen sicher. Ihre Frauen hingegen nicht.«
Die Lady mit Klasse war nicht die Einzige, die in dieser Stadt über das schrieb, was man sich erzählte oder sich zutrug. Es gab einen anderen Gesellschaftskolumnisten, der in London nach Sensationsgeschichten auf der Pirsch war. Seine Kolumne wurde inzwischen seit vierzig Jahren in der London Times abgedruckt. Er wurde abwechselnd gefürchtet, geschmäht, gefeuert und bewundert, und inzwischen war die Lady mit Klasse zur Erzrivalin dieses ewig geheimnisumwitterten Mannes aufgestiegen. In all den vierzig Jahren hatte es wohl Tausende Versuche gegeben, seine wahre Identität zu enthüllen oder wenigstens zu erraten, doch niemand hatte bislang Erfolg gehabt. Er schrieb unter dem Namen Einer, der sich auskennt , aber mehr wusste niemand über ihn.
Mit ihrer Geschichte über Roxbury und seinen geheimnisvollen Liebhaber hatte dieser weibliche Emporkömmling von der Weekly für diese Woche gewonnen. In den Clubs und Salons, den Ballsälen und Spielhöllen war diese Geschichte das einzige Gesprächsthema. Jeder hob die Brauen und senkte die Stimme. Habt Ihr schon das Neueste über Lord Roxbury gehört?
Der Mann, der sich auskannte, war zutiefst erzürnt, weil er selbst in der Garderobe des Theaters geblieben war, statt durch die Gänge hinter der Bühne zu schleichen. Aber was konnte er schon sagen? Es gab nun mal Dutzende mehr oder weniger halb bekleidete Damen hinter der Bühne.
Er paffte seine Zigarre. Sein Weg lag nun deutlich vor ihm. Er musste Roxburys Liebhaber finden, und dann musste er endlich herausfinden, wer diese verfluchte Lady mit Klasse war.
Aber in der Zwischenzeit saß der Mann, der sich auskennt, am anderen Ende des Raums und musste sich bei Roxburys betrunkener Erklärung ein Lachen verkneifen. Natürlich hatte er in seinem Leben schon viel gehört und gesehen, und es
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