Rivalen der Liebe
Roxbury ruinierte sie gerade, und mit jeder Liedzeile besiegelte er ihren Untergang.
Julianna wusste, dass sie es verdiente. Irgendwie hätte sie bestimmt die Situationskomik zu würdigen gewusst, wenn es nicht um sie gegangen wäre. Trotzdem war Julianna wegen dieser ganzen Affäre furchtbar wütend.
Es war einfach nur dumm von ihr gewesen, vor die Tür zu gehen und ihren Feind dadurch nur noch weiter zu ermutigen. Aber ihre Wut hatte jeden klar zu fassenden Gedanken ausgeblendet. Hätte sie gewusst, was er als Nächstes plante, hätte sie vermutlich nie das Haus verlassen.
Roxbury stolperte auf sie zu und schlang einen Arm um ihre Taille. Als sie versuchte, sich von ihm loszumachen, beugte er sich über sie und drückte betrunken seine Lippen auf die ihren. Er gab ihr einen hitzigen, flüchtigen, betrunkenen und zerstörerischen Kuss.
Julianna stieß ihn mühelos von sich, aber es war schon zu spät. Die Leute hatten die ganze Szene gebannt verfolgt.
Hierfür würde er büßen. Für das alles hier. Sie würde es ihm schon zeigen.
Es war zu spät, um zu leugnen, dass diese ganze Sache irgendwas mit ihr zu tun hatte. Das Einzige, was Julianna jetzt noch blieb, um die Situation – und ihren wertvollen Ruf – zu retten, war, allen unmissverständlich deutlich zu machen, dass sein Verhalten von ihr weder begrüßt noch dass Roxbury auf irgendeine Weise dazu von ihr ermutigt worden war.
Sie wandte sich von ihm ab und kehrte zum Haus zurück.
»Geht noch nicht, Mylady!«, rief Roxbury hinter ihr her.
»Penny, hol bitte meine Pistolen«, sagte Julianna zu ihrer Zofe, die in der offenen Haustür stand und die Szene fassungslos beobachtete.
Im Salon, wo sie sonst immer ihren Tee einzunehmen und ihre Gäste zu empfangen pflegte, reinigte Julianna in aller Ruhe die Pistolen und lud sie durch. Sie waren ein hübsches, aber leider nicht zueinander passendes Paar. Eine der beiden hatte ihrem verstorbenen Vater gehört, die andere ihrem verstorbenen Ehemann. Diese beiden Pistolen waren der einzige Schutz, den die beiden Gentlemen ihr noch bieten konnten. Nicht, dass sie ihr viel Schutz geboten hätten, als sie noch am Leben waren …
Beherzt nahm Julianna die Pistole, die einst Somerset gehört hatte, und marschierte wieder nach draußen. Das Seidentuch bauschte sich bei jedem ihrer schnellen Schritte hinter ihr. Ihr Aufzug war nicht gerade typisch für einen Schützen, aber ihr blieb keine Zeit, um sich umzuziehen.
Sie blieb auf der obersten Stufe der Freitreppe stehen und hatte freie Sicht auf den Fluch ihrer Existenz.
Dann zielte Julianna sorgfältig, die Pistole fest in der Hand, und drückte den Abzug.
Kapitel 22
Roxbury genoss die ganze Situation sehr. Er war der Anführer der Sängerknaben vom Bloomsburyplatz! Ihre Stimmen vermengten sich zu einem überlaut gegrölten Lied, um die ganzen Spielverderber zu übertönen. Einige der stimmlich Ambitionierten unter ihnen versuchten sogar, im Gleichklang zu singen. Es war ein herausragendes Ereignis. Eines von denen, die man nicht planen konnte und die so bestimmt kein zweites Mal passierten.
Und als sie dann vermählt war,
Juheirassa Victoria,
Da rief sie ihre Magd,
Erklärte ihr, sie ginge wieder zur Jagd.
Julianna schien nicht besonders großen Gefallen an seinem nächtlichen Ständchen zu finden, stellte Roxbury befriedigt fest. Das kümmerte ihn jedoch nicht die Bohne. Mit der Flasche in der Hand und ohne Jackett, das er schon vor Langem verloren hatte, mit gelockerter Krawatte und aufgeknöpfter Weste sang er nur noch lauter:
Jetzt ist er mir in die Falle gegangen
Ich habe ihn und kann mir den Nächsten fangen.
Nein, er ging niemandem in die Falle, triumphierte Roxbury betrunken. Er würde niemals heiraten. Er würde seine Freiheit nicht dem Willen seines Vaters opfern, und auf keinen Fall würde er diesem dämlichen Ultimatum nachgeben.
Als sie wieder auftauchte, hörte er auf zu singen. Ihr Schultertuch und das Nachthemd – die im Mondlicht hellblau und strahlend weiß schimmerten – bauschten sich vielversprechend um sie, als Lady Somerst in die Nacht hinaustrat. Wie ein Geist und ergreifend schön. Sein Atem stockte, und er brachte keinen Ton mehr über die Lippen.
Die Sängerknaben vom Bloomsburyplatz jedoch sangen ungerührt ohne ihn weiter.
Ihr Haar fielen in langen Flechten über ihren Rücken. Bei Tageslicht, das wusste er, war es kastanienbraun, fast schon rot. Jetzt bei Nacht jedoch glänzten ihre Flechten dunkel und sinnlich.
Roxbury
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