Rivalen der Liebe
wie sie auf die Straße gelaufen kam, um mit Roxbury zu streiten und wie sie dabei nicht mehr trug als einen weißen Seidenmantel und ein zartblaues Seidentuch.
»Mylady hat mich erhört!«, brüllte Roxbury jetzt laut in die Menge. Sie verzog das Gesicht. Einige der anderen Sänger hörten ihn nicht und sangen unbeirrt weiter. Der Junge vom Land bekam genau das, was er verdient hatte, wenn man sie fragte.
»Hört gefälligst mit dieser Katzenmusik auf, Roxbury! Und dann hört mir genau zu«, rief sie.
»Ich harre mit angehaltenem Atem Eures Befehls, meine liebe Lady Somerset!«, rief er viel zu laut zurück, als dass es nicht sämtliche Umstehenden gehört hätten. Sie wünschte, sie hätte irgendeinen schweren, stumpfen Gegenstand mitgebracht oder irgendeine andere Waffe. Ein paar Schaulustige ermahnten die anderen zischend zur Ruhe, um besser zuhören zu können. Andere sangen weiter. Die Rufe nach Stille und Roxburys Tod hielten an.
»Ich bin nicht Eure liebe Lady. Ihr müsst sofort von hier verschwinden. Ihr stört nämlich die gesamte Nachbarschaft.« Sie sprach durch zusammengebissene Zähne. Oh, sie war so wütend auf Roxbury und so furchtbar sauer auf Frank, der seine Bemühungen einfach eingestellt hatte und ins Haus zurückgekehrt war.
»Ihr brecht mir das Herz, Lady Somerset«, sagte Roxbury und stolperte mit unsicheren Tapsern auf sie zu. Instinktiv trat Julianna einen Schritt zurück. Wenn es etwas gab, das sie mehr verabscheute als einen Schwerenöter, dann war es ein betrunkener Schwerenöter, und erst recht einer, der behauptete, sich um ihr Wohl zu sorgen, obwohl er allem Anschein nach alles unternahm, um ihr das Gegenteil zu beweisen. Es war wie damals bei Somerset. Nur dass dieser Schwerenöter mehr Begabung besaß, sie zu blamieren.
»Ihr habt überhaupt kein Herz, Roxbury. Wenn Ihr eines hättet, würde es bestimmt nicht für mich schlagen«, zischte Julianna. Er konnte doch unmöglich etwas anderes für sie empfinden als unnachgiebigen Hass und die größtmögliche Verachtung, wenn er sich so verhielt, oder? Sein Verhalten an diesem Abend sprach doch Bände …
Seine Antwort auf ihre Worte war die erste Strophe der nächsten Ballade.
Hört die Geschichte eines jungen Kavalier
Aus Tamworth kam dieser hier
Zu freien des Edelmannes Tochter
Zu einem anderen Zeitpunkt und an einem anderen Ort, bei einem anderen Verehrer und einem anderen Lied wäre es vielleicht sogar romantisch gewesen, wenn ein Gentleman vor ihrem Fenster Lieder angestimmt hätte.
Das Schlimmste an der ganzen Sache war aber, dass Roxbury noch immer atemberaubend war, obwohl er betrunken auf sie zuwankte. Er bedachte sie mit diesem verführerischen Grinsen, von dem er wusste, dass den Frauen davon die Knie weich wurden. Sie war nicht immun gegen seine Verführungskünste, und das war Juliannas größtes Problem.
Oh, sie war natürlich außer sich vor Wut, aber sie musste sich zugleich eingestehen, wie attraktiv er aussah. Zu einer anderen Zeit und an einem anderen Ort hätten sie vielleicht … nein. Nein, sie musste diesen lächerlichen Gedankengang möglichst schnell beiseiteschieben! Sie und Roxbury passten einfach nicht zusammen – nicht in diesem Leben und auch nicht in einem anderen. Besonders nicht, nachdem er sich diese Eskapade geleistet hatte.
Als wolle er Juliannas Gedanken bestätigen, breitete Roxbury die Arme aus und sang:
Heiraten wollt’ er sie,
Am liebsten jetzt oder nie,
Käm’ Sonne oder Regen,
Freunde und Verwandte gaben auch ihren Segen.
Inzwischen war Julianna nahe genug an ihn herangetreten, dass sie seine Stimme klar und deutlich aus dem Tumult heraushörte. Zu ihrem Missfallen musste sie feststellen, dass er tatsächlich eine sehr schöne Singstimme hatte. Er traf die meisten Töne, aber was sie störte, waren die im Bariton vorgetragenen Lieder über blonde Jungfern, Hochzeiten und Prostituierte. Du lieber Himmel, Prostituierte!
Die anderen Sänger fielen endlich auch in das neue Lied mit ein. Ihre Stimmen füllten den Platz, und es hätte Julianna nicht überrascht, wenn man den Gesang bis Mayfair hätte hören können.
Die Lady ging heim mit dem Herz voller Liebe
Doch hatte sie nicht im Griff ihre Triebe
Er mochte noch so attraktiv sein, und ihretwegen hatte er sogar eine schöne Singstimme, aber das war noch gar nichts gegen den Umstand, dass seine Kutsche ausgerechnet vor ihrem Haus abgestellt war. Roxbury provozierte damit vor ihrer Haustür einen Skandal allererster Güte. Ja,
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