Rivalen der Liebe
Neuigkeiten jedweder Art und bekommen dafür pro Zeile nur einen Penny«, antwortete sie. Es machte ihr wie immer Spaß, über ihr liebstes Thema zu sprechen – über Tratsch, die Nachrichten und Geheimnisse. »Sie berichten über Brände, Festnahmen, Todesfälle oder andere Verbrechen. Oft schaffen sie es, sich in die besten Häuser der Stadt einzuschleichen, weshalb ich mich bei meiner Arbeit auch immer auf sie verlassen habe. Jem Jones – er gehört zu den Besten – und seine Leute kommen gewöhnlich ein- bis zweimal pro Woche mit allerlei delikaten Informationen zu uns.«
»Ich hatte ja keine Ahnung«, sagte Roxbury. Er wirkte ehrlich interessiert an ihrer Schilderung.
Und Julianna empfand ein warmes, angenehmes Gefühl, weil sie endlich diesen Teil ihres Lebens mit jemandem teilen konnte. Da ihre Identität bis heute noch unbestätigt war, durfte sie mit niemandem über ihre Arbeit bei der Weekly sprechen. Und es gab nichts, das sie mehr hasste als ein Geheimnis wahren zu müssen.
»Ihr glaubt doch nicht ernsthaft, dass Knightly – oder irgend ein anderer Verleger – richtige Reporter bezahlt, wenn arme Jugendliche ihnen die Informationen frei Haus liefern, und das für weniger als nichts. Oder?«, fragte sie.
»Wenn ich länger darüber nachdenke, eigentlich nicht«, sagte Roxbury. Er beugte sich über den Tisch, wie man es eigentlich nur tat, wenn man heimlich über andere reden wollte. Sie musste schmunzeln und beugte sich ebenfalls zu ihm herüber, damit sie auf halber Strecke die Köpfe zusammenstecken konnten.
»Also?«, fragte er leise. »Woher bekommt Ihr all Eure Tratschgeschichten? Wie habt Ihr das geschafft, Julianna?«
»Nun«, begann sie leise und beugte sich noch weiter vor. Sie erwischte ihn dabei, wie er auf ihre Brüste starrte, doch ließ sie es ihm durchgehen und schalt ihn nicht dafür. »Es ist schon erstaunlich, was mir die Leute immer wieder anvertrauen. Oder was ich alles beobachte.« Sie nickte bestätigend, und er lächelte reumütig. »Es gibt natürlich noch andere Möglichkeiten …«
»Dieses Netzwerk aus Spionen und Informanten, von dem man immer gerüchteweise hört?«, fragte er und hob interessiert die Braue.
»Eine Lady erzählt so etwas nie weiter«, erklärte sie mit einem sphinxhaften Lächeln, was er mit einem Stirnrunzeln quittierte.
»Der Mann, der Bescheiß weiß, hat seine Sprechstunden im St. Bride’s, wenn ich das richtig verstanden habe«, merkte Roxbury an.
»Ich muss schon zugeben, dass das ein genialer Schachzug von ihm ist. Auch wenn ich das nicht gerne eingestehe«, sagte sie lächelnd und nahm einen Schluck Tee. »Oh, was würde ich darum geben, ihn ein für alle Male zu übertrumpfen!«
»Und warum tut Ihr das nicht einfach?«, wollte Roxbury wissen.
Sie öffnete den Mund, um ihm eine abschlägige Antwort zu erteilen. Aber dann klappte sie ihn rasch wieder zu, denn ihr wurde bewusst, dass es ja eigentlich nichts gab, was dagegen sprach. Sie hatte das schon immer tun wollen, aber bisher war es wichtiger gewesen, neues Material für ihre eigene Kolumne zu sammeln. Das war immer ihr größtes Bestreben gewesen. Jetzt, wo sie bei der Zeitung suspendiert war, hatte sie auf einmal all die Zeit, die sie für ein solches Unterfangen brauchte.
Was war, wenn sie versuchte, ihn ein für alle Mal zu entlarven? Sie nahm einen Schluck Tee und dachte ausgiebig darüber nach.
Die Kolumne des Mannes, der Bescheid weiß, erschien seit über vierzig Jahren regelmäßig dreimal pro Woche. Seine wahre Identität gehörte zu den großen Geheimnissen dieser Stadt. In all den Jahren war niemand in der Lage gewesen, ihn eindeutig zu identifizieren. Viele hatten wohl inzwischen einfach hingenommen, dass es für immer ein Geheimnis bleiben würde.
Inzwischen musste er schon ein alter Mann sein, kombinierte Julianna. Auch wenn das einen Großteil der in Frage kommenden Kandidaten ausschloss, gab es immer noch genug alte Männer in London, denen es zuzutrauen war, eine solche Kolumne zu unterhalten. Was war, wenn der Mann, der Bescheid weiß, wer auch immer er sein mochte, dieses Geheimnis mit ins Grab nahm?
Dann würde sie es nie erfahren! Julianna biss sich auf die Lippe. Oh, das würde sie aber gewaltig wurmen. Sie könnte unmöglich wieder ruhig schlafen.
Und wenn sie Erfolg hatte, würde Knightly sie mit Kusshand wieder in der Redaktion aufnehmen. Das war es, was sie am allermeisten wollte.
»Wisst Ihr was, Roxbury? Vielleicht tue ich das einfach«, sagte sie
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