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Riven Rock

Riven Rock

Titel: Riven Rock Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: T.C. Boyle
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Augen verschmolz zu nichts. »Was hast du gesagt?« fragte sie. »Ich glaube, ich hör wohl nicht recht.«
    Die Frau mit den dicken Knöcheln von der Weinhandlung Goux watschelte an ihnen vorbei, drei Kinder im Schlepptau. Ein Mann mit einem hechelnden Hund rempelte sie fast um. Überall waren Menschen, massenhaft schlenderten sie vor dem Potter umher, Frauen kauften Lebensmittel, Kinder mit Bällen und Reifen flitzten aus den Seitengassen. »Nicht hier, Giov«, sagte er und hätte sie am liebsten beim Arm genommen, um sie irgendwohin zu führen, wo es ruhig und ein bißchen abgeschieden war, aber das konnte er nicht, weil sie nicht mehr Giovannella Dimucci war – sie war Giovannella Capolupo, und er hatte kein Recht, sie zu berühren. Vor anderen Leuten jedenfalls nicht.
    Plötzlich wandte sie sich ab von ihm, das Gesicht verzerrt und häßlich, und fiel in einen linkischen Trott, bei dem die Last der Röcke sie behinderte. Er wartete eine Minute, der unauffällige Eddie O’Kane, nur ein Passant beim Samstagnachmittagsspaziergang, ehe er die Verfolgung aufnahm. Als er sich in Bewegung setzte, war sie schon einen Block entfernt, schlenkerte immer noch ihre Röcke, ihr Kopf wackelte wie ein Spielzeug auf einer Sprungfeder, und die Leute blieben stehen, um ihr nachzustarren. O’Kane beschleunigte seine Schritte, aber nicht so sehr, daß er Aufmerksamkeit erregte.
    Er holte sie vor Diehls Feinkostgeschäft ein, das vor allem Waren für die begüterte Klasse Montecitos auf Lager hatte – im Schaufenster geräucherter O’Mara-Schinken aus Irland, Gläser mit Currys und Chutneys aus Indien, Birnen in crème de menthe , kurz: ein Laden, der nichts mit O’Kane und mit dem er nichts zu schaffen hatte. Eine Reihe schicker Wagen parkte davor, darunter auch der von Mr. McCormick, und das hieß, daß Roscoe in der Nähe war und Sam Wah drinnen zwischen den Regalen herumschlich, wo er Ingwerwurzeln aus Kanton und kandierte Melonenkringel aus Kambodscha inspizierte. Giovannella stand mit dem Rücken zur Straße vor dem Schaufenster und starrte eine gekonnt gestapelte Pyramide aus Mandarinen an. Er sah ihr Spiegelbild im Glas, die vor lauter Gefühl angeschwollenen Lippen, die Augen wie offene Wunden, und er fühlte, wie etwas in seinem Innern nachgab. »Giovannella«, sagte er, »hör zu – können wir reden?«
    Mit ganz leiser Stimme: »Ich will nicht mit dir reden, Eddie.«
    Da tauchte Sam Wahs Gesicht im Fenster auf, mitten zwischen zwei rosabraunen Schinken, und Sam grinste sein Zahnlückengrinsen, und O’Kane winkte, und dann, egal, ob die ganze Welt ihnen zusah oder nicht, ergriff er Giovannella am Ellenbogen und führte sie in eine Gasse und dann auf die nächste Straße. Sie gingen schweigend dahin, aus dem Geschäftsviertel hinaus in ein Wohngebiet voll hübscher Häuser mit geräumigen Veranden und rosenbewachsenen Spalieren. Sie fanden einen Platz zum Sitzen auf den kniehohen Wurzeln eines riesigen australischen Feigenbaums, der sich auf einem unbebauten Grundstück ausbreitete wie zehn zusammengepfropfte Bäume. Niemand war in der Nähe. Er nahm ihre Hand, und sie warf ihm einen Seitenblick zu, in dem eine gewisse Versöhnlichkeit zu liegen schien, aber bei Giovannella konnte man nie wissen. Manchmal, wenn sie ihre sanfteste Miene aufgesetzt hatte, stand sie kurz vor dem Explodieren, und wenn sie explodierte, konnte sie alles mögliche anstellen: sich vor eine Straßenbahn werfen, aus dem Fenster springen, einem die Augen auskratzen.
    »Tut mir leid«, sagte er. »Ich hab das nicht so gemeint, was ich vorhin gesagt habe.«
    »Eddie«, sagte sie – Kapitulation, Verzeihung und Tadel, alles zusammen in zwei Silben und einem Ton, und dann umschlang sie ihn mit einer Kraft und Heftigkeit, die berauschend und erschreckend zugleich waren, sie küßte ihn, schob ihm ihre Zunge in den Mund, wieder und immer wieder, erdrückte ihn und riß an ihm, bis er schließlich die Hände gegen ihre Schultern stemmen und nach Luft schnappen mußte.
    »Ich werde nicht zulassen, daß mein Sohn von einem Spaghettischuster aufgezogen wird, ist das klar?« verkündete er.
    Das ließ sie nur noch fester zupacken. Sie war eine in der Brandung Ertrinkende und er der Rettungsschwimmer, der sie herauszog, ihre Nägel bohrten sich in ihn wie Krallen, jeder Muskel kämpfte darum, ihn hinabzuziehen, sie wollte ihn nicht freigeben, ließ ihn nicht Atem holen, kein neutrales Terrain, keine Auszeit gestattet, ihre Lippen waren seine, ebenso die

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