Riven Rock
Gitterstäbe vor Mr. McCormicks Zimmer. »Zwei Itaker.«
Als Hamilton ihn an diesem Abend nach seiner Schicht in die Bibliothek rufen ließ, dachte sich O’Kane nichts dabei – normalerweise wollte der Doktor bei solchen Terminen die neuesten Fortschritte – oder deren Ausbleiben – von Mr. McCormick erfahren, entweder das, oder er redete sich den Mund fusselig über Julius’ Stuhlgang oder darüber, wie oft Gertie von Jocko bestiegen worden war und ob Mutt ihnen zugesehen hatte. Aber sobald er das Zimmer betrat, sah er Mrs. McCormick und ihre Mutter dort sitzen wie die Scharfrichter, und auch das lange Gesicht des Doktors ließ keinen Zweifel daran, daß ihm einiges bevorstand. Noch ehe Katherine mit ihrer eisigsten Stimme sagte: »Guten Abend, Mr. O’Kane, setzen Sie sich doch bitte«, die Mutter ihm gewohnheitsmäßig ein rasch verblassendes Lächeln schenkte, der Doktor sich betont räusperte und das Licht auf seinen Brillengläsern Reflexe warf, so daß man die Augen nicht recht sehen konnte, überlegte sich O’Kane, wie er den kleinen Zwischenfall im Hinterhof erklären könnte, er konstruierte bereits mildernde Umstände und bastelte an einer uneinnehmbaren Mauer aus Halbwahrheiten, plausiblen Erfindungen und eklatanten Lügen.
Aus seiner Erfahrung mit Frauen – und diese Erfahrungen waren vielfältig, ja geradezu umfassend – hatte er im Laufe der Zeit gelernt, daß es immer am besten war, alles abzustreiten. Das hatte er auch gegenüber Vater und Sohn Dimucci versucht, aber die Dimuccis waren cholerisch und handelten überstürzt, Endprodukte jahrhundertelanger Blutfehden und eines unabänderlichen ländlichen Ehrenkodex, und sie wollten davon nichts hören. »Eddie«, hatte der alte Mann so laut gebrüllt, daß jede Seele innerhalb von tausend Metern ihn hören konnte, »hast du geschändet meine Tochter Giovannella und jetzt du sie wirst heiraten«, während sein Sohn, eins dreiundfünfzig und keinen Zentimeter größer und mit einem Gesicht wie ein Fuchs in der Falle, nur Heimtücke und Haß versprühte. O’Kane versuchte ihnen klarzumachen, daß sie nicht mehr in Sizilien lebten, daß dies ein freies Land und Giovannella eine erwachsene Frau sei und ebenso Schuld trage wie er – sogar noch mehr, so wie sie immer in der Küche herumstolzierte, bei allem und jedem die Unterlippe vorschob und ihre Brüste herumbaumeln ließ wie reifes Obst in einem Beutel –, doch als er das mit dem reifen Obst erwähnte, ging Pietro auf ihn los, und er mußte ihn leider gegen die Hauswand drücken wie einen aufgespießten Schmetterling.
Das Ganze gefiel ihm nicht. Er war kein Monster. Er wollte niemandem weh tun. In seiner ganzen Zeit mit Rosaleen war er nur zweimal vom geraden Pfad der Ehe abgewichen, Giovannella nicht mitgezählt, und auch nur dann, als sie schon so schwanger gewesen war, daß sie ihn nicht mehr befriedigen konnte oder wollte. Sie weigerte sich, es ihm mit dem Mund oder auch nur mit der Hand zu besorgen, ja sie war richtig empört deswegen, als hätte er sie gebeten, den Papst zu erschießen oder ihre Seele dem Teufel zu verkaufen oder sonstwas. Und beide Male hatte ihn irgendein Judas verraten – er verdächtigte ihren älteren Bruder Liam, der seine Nase ständig in anderer Leute Angelegenheiten steckte, oder ihre Schulfreundin Irene Norman, die in Bisbys Imbiß arbeitete und jeden Fetzen Klatsch aus der Stadt dreimal täglich wiederkäute –, und Rosaleen hatte ihm die Hölle heiß gemacht, als bräuchte sie noch einen Grund für ihre Wutanfälle. Er stritt alles rundheraus ab. Sagte, wer immer ihr diesen Dreck ins Ohr geblasen habe, müsse ein gemeiner, infamer Mensch sein, der es nicht wert sei, daß man ihm zuhörte, aber Rosaleen schrie sich trotzdem die Lunge aus dem Leib und verbeulte vor Wut sämtliche Töpfe und Pfannen im Haus. »Gib es zu!« verlangte sie kreischend. »Gib’s doch zu«, flüsterte sie nach einer durchwachten Nacht, in der sie schluchzend neben ihm gelegen hatte, »gib’s zu, und ich verzeih dir«, aber er wußte es besser, er wußte, daß er in jeder Minute seines restlichen Lebens die Namen von Eulalia Tucker und Bartholomew Piersons Frau Lizzie hören würde, wenn er auch nur ein Wort sagte.
Jetzt aber, in der Bibliothek, umgeben von den prächtigen, vielfarbigen Lederrücken Hunderter wunderschöner Bücher, die Katherine in den vergangenen Wochen für den Tag der Genesung ihres Mannes auf den Teakholzregalen angesammelt hatte, war er plötzlich
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