Riven Rock
verlegen. Wieviel wußten sie? Wie wichtig war es überhaupt? War er denn ihr Niggersklave, den sie wegen jeder Kleinigkeit auspeitschen und tadeln und zurechtweisen konnten? Das waren seine Gedanken, während er Platz nahm und versuchte, Katherine in die Augen zu sehen, ohne den Blick zu senken und auf seine Schuhe zu starren. In die nervenzerfetzende Stille, die nun herrschte, hallte ein einsamer Affenschrei aus dem Wald herüber. »Ja?« sagte er schließlich und übernahm damit die Initiative. »Kann ich Ihnen helfen?«
Katherine richtete sich auf. Sie war in Samt gekleidet, in einem königlichen Dunkelbraun, wie es Monsignore O’Rourke immer zur Fastenzeit und im Advent angelegt hatte, dazu ein passender Hut mit langen Reiherfedern. Ihre Haltung war wie immer mustergültig, sie hielt Knie und Füße absolut gerade und züchtig aneinandergepreßt, der Rücken war so aufrecht, daß er nahezu konkav wirkte, das Kinn nach vorn geschoben und die Lippen fest geschlossen. »Das können Sie allerdings«, sagte sie, und ihr Blick ließ ihn nicht entkommen. »Vielleicht wären Sie so freundlich, Mr. O’Kane, uns eine Erklärung für diesen Vorfall – oder vielmehr diese Affäre – mit dem Bauernmädchen zu geben.«
Er versuchte ihrem Blick standzuhalten, versuchte Unschuld und Demut auszustrahlen, die offene Bereitwilligkeit, alles Menschenmögliche zu tun, um aufzuklären, was im schlimmsten Fall ein Mißverständnis war, aber er konnte es nicht. Ihre Blicke waren wie pfeifende Kugeln, Explosionen im Dunkeln. Er sah zu der Mutter hinüber, die war jedoch in einen persönlichen Traum abgeglitten, dann zu Hamilton, aber der äffte nur Katherine nach. »Ach«, sagte er und probierte sein gewinnendstes Lächeln, von dem seine Mutter meinte, es könne die Herzen von Toten wieder zum Schlagen bringen, hob den Blick, um dem ihren zu begegnen, und grinste, was das Zeug hielt, »eine ganz unschuldige Geschichte ist das, eine Schulmädchenschwärmerei, nichts weiter. Sehen Sie, das betreffende Mädchen hat eine Zeitlang hier in der Küche ausgeholfen, während Mrs....«
Katherine unterbrach ihn. Sie schob die starre Kleiderstange ihres perfekten Rückens und ihrer perfekten Schultern so weit nach vorn, daß er meinte, sie müsse gleich splitternd zerbrechen. »Ihnen ist doch klar, Mr. O’Kane, daß ich jetzt hier bestimme?« fragte sie, und er nahm den ungeduldigen Beiklang in ihrer Stimme sehr wohl wahr.
Es war nicht der Augenblick zum Improvisieren – sie war die Dirigentin und er das Orchester. »Ja, Ma’am«, sagte er, und er meinte das ernst. In den vergangenen Monaten hatte sie das ganze Haus umdekoriert, die düsteren spanischen Gemälde, die schweren schwarzen Möbel und das braune Steingut in die Dachkammer über der Garage verbannt und durch Seestücke und Landschaftsbilder, moderne Stühle und Sofas mit eckigen Kanten und niedrigen Lehnen ersetzt, außerdem hatte sie neue Vorhänge ausgewählt, die das Licht betonten und das Haus weniger wie eine Westküstenversion des McLean Hospital aussehen ließen, sondern eher wie den Wohnsitz eines wichtigen und geistig völlig gesunden Mannes, der an einer leichten, schnell vorübergehenden Unpäßlichkeit litt. Sie hatte einen neuen Obergärtner, einen Landschaftsarchitekten und ein halbes Dutzend neue Itaker und Mexikaner angestellt. Und obwohl die McCormicks immer noch Eigentümer des Hauses waren und Mr. McCormick seiner Mutter eine monatliche Miete zahlte, liefen sämtliche Entscheidungen, egal, wie banal sie waren, jetzt über Katherine. Sie bestimmte hier. Darüber bestand kein Zweifel.
»Gut«, sagte sie, »ich möchte nämlich, daß Sie daran denken, wenn Sie mir jetzt genau zuhören.«
O’Kane sah sich im Zimmer um. Der Doktor rutschte verlegen auf dem Stuhl herum; die alte Lady lächelte versonnen.
»Ich habe mit den Beteiligten gesprochen, Mr. O’Kane – auf italienisch, um bei den Tatsachen absolute Klarheit zu haben –, und ich finde Ihr Verhalten verwerflich. Sie haben mit der Liebe dieser jungen Frau ein leichtfertiges Spiel getrieben, Mr. O’Kane, ja schlimmer noch, Sie haben sie ausgenutzt – entehrt, wie man so sagt. Glauben Sie denn, eine Frau sei nichts als ein Objekt, Mr. O’Kane, ein Stück Fleisch, das nur auf dieser Welt ist, um Ihre Gelüste zu befriedigen?Glauben Sie das?«
O’Kane hielt den Kopf gesenkt, innerlich jedoch kochte er. Es war ihm verdammt egal, wer sie war, aber sie hatte kein Recht – er war doch kein Sklave – er
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