Riven Rock
konnte tun und lassen... »Nein«, sagte er.
Es gab eine Pause. Das Licht schillerte auf den Buchrücken und dem Kristallglas auf der Anrichte. Die alte Lady, Katherines Mutter, schien vor sich hin zu summen.
»Nun höre ich von Dr. Hamilton, daß Sie ein hervorragender Pfleger sind«, fuhr Katherine mit gepreßter Stimme fort, »und ich weiß selbst, wie sehr Sie sich meinem Gatten widmen, aber glauben Sie mir, wenn dem nicht so wäre, ich würde Sie auf der Stelle entlassen. Haben Sie verstanden?«
»Ja«, sagte er, und es war ein Quaken, er quakte wie ein Frosch, wie etwas, das man einfach zertrat.
»Denn solange Sie für Mr. McCormick arbeiten, sind Sie sein Repräsentant hier im Gemeinwesen, und Sie benehmen sich gefälligst so, wie es seinen untadeligen moralischen Maßstäben angemessen ist, oder Sie müssen sich anderweitig nach einer Anstellung umsehen. Ganz zu schweigen davon – und das ist wohl der traurigste Gesichtspunkt dieser ganzen Angelegenheit –, daß Sie verheiratet sind. Sie haben vor Gott und den Menschen das Ehegelöbnis abgelegt, Mr. O’Kane, und es gibt keine Entschuldigung auf Erden dafür, daß Sie es gebrochen haben. Sie enttäuschen mich, das tun Sie wirklich.«
O’Kane hatte dazu nichts zu sagen. Dieses Miststück. Dieses hochnäsige Miststück aus dem feinen Boston mischte sich einfach ein. Wie konnte sie es wagen, ihn wie einen Pennäler herunterzuputzen? Unglaublich! Doch er hielt den Mund wegen der Orangenbäume, wegen Mr. McCormick und der besten Chance seines Lebens. Er würde es ihr zeigen. Eines Tages. Eines Tages würde er das.
»Eines noch«, sagte sie und ließ sich nun endlich in die bequeme Rückenlehne sinken, auch wenn ihre Füße weiterhin wie an den Boden genagelt blieben. »Ich habe zwei Fahrkarten zweiter Klasse auf den Namen Ihrer Frau kaufen lassen. Ich erwarte sie Ende nächster Woche hier.«
6
Angeschirrt
Die zweite Frau, die Stanley McCormick je im Evaskostüm sah, war eine französische Straßendirne namens Mireille Sancerre, deren Unterwäsche von einem so intensiven Rot war, daß sie im gedämpften Licht ihres Zimmers plötzlich wie ein Mohnblumenfeld erstrahlte. »Hast du Spaß vielleicht bei Zusehen?« raunte sie, während er wie gelähmt auf ihrem nach Patchouli duftenden Bett lag und zusah, wie diese luftigen seidigen Sachen von ihr abfielen, um das Weiße in ihrer Mitte freizulegen, jenes Weiße, das er erwartete und fürchtete und begehrte. Er war zwanzig Jahre alt, seit vier Monaten Absolvent der Princeton University und der neue Schüler im Atelier von Monsieur Julien in der Rue de Clichy auf dem Montmartre. Sein Bruder Harold, der im Juni gemeinsam mit ihm das Studium abgeschlossen hatte, hatte anschließend Edith Rockefeller geheiratet, und Nettie McCormick, die Stanleys Enttäuschung spürte, hatte ihn auf eine Rundreise durch Italien und zu den antiken Stätten Europas mitgenommen, um ihn abzulenken. Sie kamen prächtig miteinander aus, Stanley und seine Mutter, sie genossen die Gelegenheit, nach der Trennung durch das Studium wieder einmal zusammenzusein, nur gerieten sie in Streit wegen Stanleys Idee, nach der Reise noch ein paar Monate in Paris zu bleiben, um dort zeichnen zu lernen. In Netties Augen war die verderbteste und verruchteste Stadt Europas wohl kaum der Ort, an dem ihr jüngstes Kind sich zum erstenmal in seinem Leben eine eigene Wohnung nehmen sollte, während Stanley argumentierte, Paris sei schließlich Angelpunkt und sine qua non der Kunstwelt, und ins Feld führte, daß er vielleicht nie wieder eine solche Gelegenheit bekommen könnte.
»Mutter«, rief er, sein Mienenspiel wechselte rasch, und seine Augen schwirrten wie wahnsinnige Hornissen herum, während er quer durch die vergoldete Weite ihrer Suite im Hotel Élysee Palace hin und her wanderte, »das ist die Chance meines Lebens, meine einzige Gelegenheit, bei einem französischen Meister zu lernen, bevor ich nach Chicago zurückkehre und mich wieder ins Geschirr spannen lasse. Ich bin erst zwanzig. Und ich werde mit Mähmaschinen zu tun haben, bis ich sterbe.«
Nettie saß in ihrem Sessel wie auf einem Thron, die Lippen fest zusammengepreßt. »Nein.«
»Aber Mutter, wieso denn nicht? Bin ich nicht brav gewesen? Habe ich nicht gute Leistungen im Studium geschafft und dich stolz gemacht? Ich war besser als Harold – hundertmal besser. Und jetzt bitte ich dich nur um diese kleine Sache.«
»Nein.«
»Bitte!«
»Nein. Und das ist endgültig. Du kennst sehr
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