Robert Enke
schlummernde Irritation in Teresas Bruder. Er mochte Robert, er genoss die Gespräche
mit ihm; im Prinzip. Aber wieso erkundigte sich Robert nie, was er machte? Warum fragte Teresas Freund nie nach, wenn er von
seinem Leben als Lehrer in München erzählte?
Es war die Fußballerkrankheit. Profifußballer gewöhnen sich daran, dass ständig sie gefragt werden, dass alle sowieso immer
nur etwas von ihnen hören wollen. So verlernen viele Fußballer, sich für andere zu interessieren.
Anders als Florian bemerkte Hubert die Ichweißnichtwiemanfragt-Krankheit nicht bei Robert. Hubert wartete auch nicht darauf,
dass ihn irgendwer etwas fragte. Wenn er etwas erzählen wollte, dann erzählte es Hubert, der in Lissabon nicht seinen weißen
John-Travolta-Anzug, sondern ein Trainingsshirt der deutschen Junioren-Nationalelf trug, das ihm Marco geschenkt hatte. Im
Stadion des Lichts stellte Robert ihn Portugals Legende vor, Eusebio, niemand spielte wie er. »Eusebio, das ist der Hubert.«
Eusebio reckte den Daumen nach oben. Teresa und Robert zeigten Hubert die Stadt, den Turm von Belém, den Blick auf den Atlantik,
und Hubert konnte es die ganze Zeit nicht glauben, wie rührend sich diese jungen Leute um ihn bemühten.
Marco und Christina kamen kurz vor Weihnachten. Auch von Ried ging es hinaus in die Welt, Panathinaikos Athen, einer der |107| 25 größten Klubs Europas, hatte Marco Villa als Torjäger in der Alpenvorlandbodensenke entdeckt und umgehend abgeworben, nach
Weihnachten schon würde er in Griechenland sein.
Ohne es zu merken, waren Robert Enke und Marco Villa zu Boten einer neuen Zeit geworden. Der Profifußball machte der Welt
die Globalisierung vor. Spielten 1992 zum Beispiel ganze elf Ausländer in der englischen Premier League, so kam nun, sieben
Jahre später, bereits jeder Dritte der rund 500 Erstligaprofis in England aus dem Ausland. Jungen wie Robert Enke oder Marco
Villa, die, wären sie zehn Jahre früher geboren worden, in ihrer Karriere vielleicht einmal von Mönchengladbach nach Bremen
oder Frankfurt gewechselt wären, wurden zu modernen Wanderarbeitern. Vorbereitet hatte sie darauf niemand.
In Teresas und Roberts Eispalast liefen die Heizstrahler im einzig bewohnbaren Raum, Teresa und Christina saßen auf dem Sofa,
Robert und Marco auf dem Boden. Sie spielten
Stadt
,
Land
,
Fluss
gegeneinander.
»E«, sagte Marco.
»Was habt ihr für einen Fluss?«, fragte Robert.
»Die Ems«, sagte Teresa.
»Ach, haben wir auch«, sagte Robert.
»N«, sagte Christina.
»Was habt ihr für einen Fluss?«, fragte Robert.
»Neckar«, sagte Christina.
»Ach, haben wir auch«, sagte Robert.
Irgendwann merkten Teresa und Christina, dass die Männer gar keinen Fluss wussten, sondern immer nur ihre Lösungen klauten.
»Der Verdacht fiel natürlich auf mich, weil ich immer derjenige war, der Blödsinn machte«, sagt Marco. »Aber ich konnte doch
auch nur staunen.« Robert hatte, voller Ehrgeiz, auch dieses Spiel nicht zu verlieren, immer geschummelt.
Zum Frühstück servierte Teresa Rührei ohne Eigelb. Sie experimentierte mit Trennkost.
»Was ist das denn?«, fragte Marco belustigt. Er warf Robert |108| einen verschwörerischen Blick zu, hob die Augenbrauen, grinste und deutete mit einem Nicken auf Teresa.
Robert tat ihn mit einem unwirschen Kopfschütteln ab. Über Teresa machte man keine Witze.
Mittags gingen Robert und Marco nach ihrem Geschmack essen, in ein Fast-Food-Lokal. Sie standen am Essensschalter, als Marco
das anschwellende Summen und Brummen hinter ihnen auffiel. Er drehte sich um. An den Scheiben des Restaurants hingen Dutzende
Kinder, die ersten kamen schon herein, in wenigen Minuten waren sie von 200 kichernden und lachenden Portugiesen umzingelt.
»Uenk! Uenk!«
Nach einem halben Jahr in Lissabon wusste Robert Enke, wer das war. Der Enke. U Enke. Wenn es die Portugiesen aussprachen,
klang es immer wie
Uenk
.
»Sag mal, was ist denn hier los, verwechseln die dich mit einem Star, oder was?«, fragte Marco.
Robert lachte, Marco fand: stolz.
»Es war paradox: Robbi war zurückhaltend, er wollte seine Ruhe, aber dieser Starrummel gefiel ihm doch.«
Für die Portugiesen war er mehr als ein guter Torwart. Ein Land, das sich selbst oft melancholisch an die untergegangene Größe
als Kolonialmacht erinnerte, registrierte die kleinen Gesten von Ausländern gegenüber Portugal sehr genau. Während zugezogene
Geschäftsleute oder Profisportler meist noch
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