Roberts Schwester
Aber es sagte niemand etwas, es huschten nur diese Ungeheuer vorbei und pressten mir die Rippen zusammen. Wir brauchten fast eine halbe Stunde bis zu diesem Rastplatz. Als er den Wagen anhielt, drehte Wolbert sich zu mir um. Er bemerkte, dass es mir nicht gut ging, und zögerte kurz. Dann meinte er:
«Ihr Bruder dürfte schneller gewesen sein. In der Nacht herrschte vermutlich nicht so viel Verkehr. Wir schätzen, dass er im Höchstfall zwanzig Minuten brauchte.»
Welche Rolle sollte das noch spielen? Zwanzig, dreißig oder fünfunddreißig Minuten und dann tot. Kam es da auf ein paar Minuten an? Wolbert stieg aus und ging voran. Sein Lehrling hielt sich an meiner Seite. Die Stelle, an der Roberts Wagen gestanden hatte, lag am äußersten Ende des Platzes, so weit als möglich von der Raststätte entfernt. Sie war von einigen Büschen gesäumt und mit gelb-schwarz gestreiften Bändern abgesperrt, der Parkplatz daneben ebenso. Wolbert lächelte wieder, als er den Arm ausstreckte und auf die zweite Parkbucht zeigte. Inzwischen hasste ich sein Lächeln.
«Da muss ein zweiter Wagen gestanden haben», sagte er. Sein Lächeln veränderte sich in keiner Weise. Ich glaubte, daran zu ersticken. Auf dem Platz, auf den er zeigte, war ein großer, bunt schillernder Fleck. Motoröl, von den Regenschauern der vergangenen Nacht und den letzten Stunden verwaschen.
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5. Kapitel
Und Isabell hatte ein Alibi. Bei genauer Untersuchung musste sich zwar herausstellen, dass es nichts taugte. Aber ich hatte nichts, nur einen defekten Wagen. Wolberts Lehrling betrachtete abwechselnd den Ölfleck und mein Gesicht, als tue sich ihm dabei eine Welt voller Wunder auf, als könne jeden Moment die Erklärung aus meinen Narben aufleuchten. Auch Wolbert schaute mich an, als warte er darauf. Ich fühlte mich so hilflos in dem Moment, hatte keine Antwort. Ich konnte nur fragen:
«Was versprechen Sie sich davon? Ich bin zum ersten Mal auf diesem Platz.»
Wolbert ließ sich Zeit – oder mir. Sekunde um Sekunde verging, mir wurde abwechselnd heiß und kalt, ich schwitzte, fror und zitterte. Ich spürte einen Muskel unter dem linken Auge zucken und konnte nichts tun, auch den Blick nicht lösen von diesen bunt schillernden Schlieren und dem Platz daneben. Er war nur nass, dunkel vom Regen. Und hier war Robert gestorben, einfach erschossen worden. Im Geist sah ich seinen Wagen stehen, so wie Wolbert es beschrieben hatte. Offene Seitenscheibe, noch angegurtet. Wolbert griff nach meinem Arm und verscheuchte den Eindruck damit. Er führte mich zurück zu ihrem Wagen und ging mir so fürchterlich auf die Nerven mit seiner Betulichkeit. Er behandelte mich tatsächlich wie eine Verrückte, als könne ich jeden Augenblick explodieren.
«Dieses Medikament», fragte er, nachdem wir wieder eingestiegen waren,
«das Ihr Bruder Ihnen in der Nacht gab, welche Nebenwirkungen hat es?»
Ehe ich antworten konnte, fuhr er fort:
«Man liest häufig auf den Beipackzetteln, dass die Einnahme die Reaktionen so weit herabsetzen kann, dass man keine Maschinen bedienen und nicht am Straßenverkehr teilnehmen sollte. Das liest man, aber man tut es trotzdem, nicht wahr?»
Ich erklärte ihm, was mir Piel vor Jahren erklärt hatte, als er zum ersten Mal ein Rezept für Cliradon ausstellte.
«Es macht schläfrig und führt zu Bewusstseinstrübungen.»
Möglich, dass es tatsächlich so war. Mit Gewissheit konnte ich es nicht sagen. Wenn ich eine Kapsel einnahm, war mein Bewusstsein ohnehin stark getrübt, weil ich vor Schmerzen nicht mehr ein noch aus wusste. Und schläfrig war ich dann auch, todmüde, weil ich meist bereits ein oder zwei Nächte nicht geschlafen hatte.
«Bewusstseinstrübungen», wiederholte Wolbert, während er losfuhr.
«Und man liest auch oft auf den Beipackzetteln, dass Alkoholgenuss die Wirkung verstärkt. Sie hatten getrunken. Viel?»
«Genug», sagte ich,
«um nicht mehr fahren zu können. Aber ich wäre auch nüchtern und bei klarem Bewusstsein nicht auf die Idee gekommen, meinem Bruder in einem Wagen zu folgen, der jeden Moment mit einem Motorschaden stehen bleiben kann.»
«Na ja», meinte er. Sein Gesicht konnte ich nicht sehen, weil ich nun direkt hinter ihm saß. Aber ich war sicher, er lächelte wieder.
«In einer Ausnahmesituation denkt man nicht immer rational. Sehen Sie, Frau Bongartz, ich will Ihnen nichts vormachen. Wollten wir mit diesem Ölfleck vor Gericht gehen, das gäbe ein großes Gelächter. Es ist ein
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