Roberts Schwester
ich das besser wusste, besser als jeder andere. Eine Kanalratte hatte sich Verstärkung geholt, zu zweit ließ es sich besser zubeißen. Zu zweit konnte man genüsslich an meinen Nerven knabbern, bis sie völlig blank lagen. Und nie konnte ich beweisen, dass sie mich in die Ecke drängten, dass sie mich systematisch fertig machten, dass sie mich um den Verstand brachten. Hätte wenigstens Piel einmal gesagt:
«Ich habe Sie doch gewarnt, Mia. Wie konnten Sie den Worten eines Detektivs vertrauen, der nicht einmal seine eigene Ansicht vertrat? Was er an Sie weitergab, war die Meinung früherer Nachbarn.»
Kein Wort in diese Richtung. Stattdessen fragte Piel:
«Was hat Sie fasziniert an Jonas Torhöven? Seine Hilflosigkeit? Oder war es Vergeltung, Mia? Isabell nahm Ihnen den Bruder, Sie wollten im Gegenzug Isabell den Bruder nehmen. Jonas Torhöven kam doch ausschließlich auf Ihr Betreiben ins Haus. Ein Mann, der nicht ausbrechen kann. Aber Ihre Rechnung ging nicht auf. Nun halten Sie ihn wie einen Gefangenen und wundern sich, dass er gegen Sie rebelliert. Gefangene rebellieren häufig gegen ihre Kerkermeister, Mia.»
Alles Blödsinn. Es war ganz anders. Ich war sehr erleichtert gewesen, als Isabell vor sechs Wochen aufbrach, um ihn abzuholen. Sie fuhr sehr früh am Morgen nach Frankfurt. Und sie fuhr allein. Die Ankunft des verlorenen Bruders fiel ausgerechnet auf einen Tag, an dem Robert einen unaufschiebbaren Termin wahrnehmen musste. Sie hätte sich kaum in Roberts Begleitung mit Horst Fechner treffen können. Und das hat sie getan, da bin ich sicher. Es gab noch eine Menge zu besprechen, bevor sie das Finale einläuten konnten. Ich hatte auch einen Termin. Meine Friseuse kam an dem Vormittag. Ich wollte nicht aussehen wie eine Vogelscheuche, wenn ich Jonas Torhöven begrüßte. Und dann warteten wir. Robert kam kurz nach vier zurück und begann schon, sich Sorgen zu machen, weil sie so lange ausblieben. Es war nach sechs, als die beiden Wagen endlich vorfuhren, Isabells Renault und dahinter ein viertüriger Mercedes. Einer von der schweren Sorte. Vermutlich ein Leihwagen, um gediegenen Wohlstand zu demonstrieren. Zwei Männer auf den Vordersitzen, einer im Wagenfond. Der Fahrer stieg zuerst aus. Robert ging hinaus, um die kleine Gruppe zu begrüßen. Wenn ich mir nur vorstelle, dass er bei dieser Gelegen- heit Horst Fechner die Hand schüttelte, dass er diesem Schweinehund freundlich und arglos gegenübertrat, dass er ihn anlächelte, dann kocht es über in mir. Alle Welt mag mich für verrückt halten, für eine arme Irre, die sich in eine Wahnvorstellung hineinsteigert und ein Hirngespinst jagt, oder wie Piel es ausdrückte, einen Ersatzmann für den unbändigen Hass suchte, der sich niemals offen gegen Robert richten durfte. Aber mit dem Phantom Fechner hatte ich dasselbe Ziel erreicht und Roberts Leben in eine Hölle verwandelt. Fechner war kein Phantom! Dieser Schweinehund konnte uns unerkannt vor der Nase tanzen. Robert hatte doch auch nur Fotos gesehen, und darauf mochte der Prinz von Transsylvanien abgebildet gewesen sein, ohne dass er es gemerkt hätte. Sie hatten einen faltbaren Rollstuhl dabei. Der Fahrer holte das Ding aus dem Kofferraum. Zusammen mit dem zweiten Mann schaffte er Jonas Torhöven ins Haus, während Robert den Rollstuhl hinterhertrug und auseinander klappte. Nachdem sie Jonas abgesetzt hatten, holten die beiden Männer sein Gepäck. Viel war es nicht. Jonas nutzte die Zeit, mir die Hand zu schütteln. Er machte einen sehr guten Eindruck auf mich, ruhig und bescheiden. Er bedankte sich bei uns, ohne ein Wort zu viel zu verlieren. Gerade deshalb wirkte es so echt und von Herzen kommend. Seine angeblichen Freunde blieben noch zum Essen. Gesprochen wurde dabei nicht viel. Dafür wusste Isabell inzwischen zu gut, dass man in meiner Gegenwart vorsichtig sein musste, dass ich rasch aus der Art eines Menschen auf seinen Charakter schloss. Da fiel kein überflüssiges Wort. Und es war das einzige Mal, dass Jonas zusammen mit uns eine Mahlzeit im Esszimmer einnahm. Anschließend trugen die beiden Männer ihn zusammen mit seinem Rollstuhl hinauf in den ersten Stock, brachten ihn und seinen Koffer in das Zimmer am Ende der Galerie, das wir für ihn hergerichtet hatten. Es war gewiss keine vorteilhafte Lösung, einen gelähmten Mann im ersten Stock eines Hauses unterzubringen. Das war Robert und mir durchaus bewusst. Und wir hatten bestimmt nicht die Absicht, ihn wie einen Gefangenen zu halten.
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