Roberts Schwester
Die Zeit war einfach zu knapp gewesen, einen Treppenlift einbauen zu lassen. Robert hatte sich allerdings schon Prospekte besorgt. Daraus ging hervor, dass der Einbau keinen großen Aufwand bedeutete und auch nicht übermäßig viel Platz beanspruchte. Den Auftrag für diesen Einbau hatten wir nur aus einem Grund noch nicht erteilt. Isabell war dagegen. Sie, nicht ich.
«Lasst uns erst einmal abwarten», hatte sie gesagt.
«Ich glaube, Jonas ist ganz froh, dass er da oben ein Zimmer für sich hat und alleine sein kann.»
Angeblich hatte er ihr das anvertraut, als er noch in der Klinik lag. Sie hatte mehrfach in Tunis angerufen, und er war ihr dabei sehr verändert erschienen. Er habe sich völlig in sich zurückgezogen, meinte sie. Übermäßig kontaktfreudig sei er nie gewesen, er habe sich immer ein bisschen schwer getan, auf andere zuzugehen. Und wir, Robert und ich, seien für ihn zwei völlig Fremde. Ein Treppenlift zwinge ihn praktisch dazu, an unserem Leben teilzunehmen, allein schon aus Höflichkeit. Und zwingen dürfe man ihn nicht, er müsse Zeit bekommen, sich einzugewöhnen. Wenn er irgendwann besser mit sich selbst zurückkäme und nicht mehr gar so sehr das Gefühl habe, uns eine Last zu sein, solle er frei entscheiden, ob er einen Lift haben möchte. Robert hatte sich natürlich nach ihren Wünschen gerichtet und fand ihre Behauptungen auch noch vernünftig. Und dann saß Jonas erst einmal im Obergeschoss und hatte keine Möglichkeit, nach unten zu gelangen. Nachdem die beiden Männer sich verabschiedet hatten, bat Isabell um unser Verständnis, dass sie ihrem Bruder Gesellschaft leisten wollte. Nervös und flattrig war sie.
«Wir haben uns ja ewig nicht gesehen.»
Ja, da gab es wohl eine Menge zu besprechen, Vaters Testament, all die Klauseln, die verhinderten, dass sie sich mit ihren roten Krallen bediente. Vielleicht war er nicht auf Anhieb einverstanden, mit ihr und Fechner gemeinsame Sache zu machen. Das kann und will ich nicht beurteilen. Aber lange kann sie nicht gebraucht haben, ihn von den Vorteilen zu überzeugen und ihm beizubringen, wie man mich am besten aus dem Gleichgewicht bringen konnte. Das wäre ein gefundenes Fressen für Piel gewesen. Die Charakterstudie des einfachen Mannes, der plötzlich aus seinem gewohnten Leben gerissen und mit dem Reichtum anderer geblendet wurde. Die rasche Wandlung des Jonas Torhöven. Isabell ging sehr raffiniert vor, ihrem Bruder die Sache schmackhaft zu machen. Aus seinem Zimmer hörte man immer nur harmlose Plauderei. Das Wesentliche wurde anderswo besprochen und mit der entsprechenden Geräuschkulisse unterlegt, die es unmöglich machte, etwas zu verstehen. Schon am ersten Abend war das so. Als ich kurz vor elf zu Bett gehen wollte, war es im Zimmer am Ende der Galerie still. Aus dem daneben liegenden Bad drang heftiges Platschen. Es hörte sich an, als tobe jemand quer durch die gefüllte Wanne. Ach du meine Güte, dachte ich, jetzt hat dieses dumme Luder ihn in die Wanne gehievt und bekommt ihn alleine nicht mehr raus. Robert hatte eine Hebevorrichtung angeschafft, sie war nicht schwierig zu bedienen. Ich hätte es mit einem Arm gekonnt. Isabell kam nicht damit zurecht. In mancher Hinsicht war sie wirklich zu dämlich. Ich rief Robert, damit er ihr helfen konnte. Er kam auch sofort, aber die Zimmertür war verschlossen, und das Bad hatte keine Tür zur Galerie. Robert klopfte mehrfach und fragte, ob alles in Ordnung sei. Das war es, Hilfe brauchte Isabell jedenfalls nicht. Sie klang ein bisschen atemlos, aber durchaus fröhlich, als sie zu uns hinausrief, sie käme gut alleine zurecht. Robert gab sich damit zufrieden, wünschte mir eine gute Nacht und ging in sein Zimmer. Isabell blieb noch ein Weilchen bei ihrem Bruder. Erst kurz nach drei hörte ich sie nebenan mit Robert flüstern. Es tat ihr Leid, dass sie ihn aufgeweckt hatte. Der Einzug von Jonas Torhöven veränderte eine Menge, nur für Robert änderte sich nichts. Es machte keinen Unterschied, ob Isabell unterwegs war oder sich um ihren Bruder kümmerte, für Robert blieb sie praktisch unsichtbar. Von morgens bis abends wieselte sie um Jonas herum. Sie verließ das Haus nur noch, um Besorgungen für ihn zu machen. Er brauchte ein eigenes Fernsehgerät, einen Videorecorder, diverse Filme zur Unterhaltung und ein paar Geräte zur Körperertüchtigung, Hanteln, Expander, damit er wenigstens obenherum nicht einrostete. Und jedes Mal, wenn sich in den vergangenen Wochen die Tür da oben
Weitere Kostenlose Bücher