Robina Krux
sie: ‘Wenn sie dann noch einmal kämen, vielleicht in hundert Jahren mich hier vor ihrer Kuppel als wohlerhaltene Leiche fänden, würden sie sich über ihr menschenfeindliches, eigennütziges Bauwerk ärgern…’
Laut sagte Robina: „Ihr könnt mich mal!“, und sie begann forsch mit dem Abstieg.
5
Hätte sie jemand gefragt, Robina wäre nicht in der Lage gewesen zu antworten, wie sie die folgenden Tage und Wochen verbracht hatte. Meist lag sie lethargisch in der Kabine, nahm Medikamente –„für Flugphasen in trivialen Räumen“, wie es im Reglement hieß –, kleine Pillen, die einen Wachschlaf hervorriefen, eine Art Dösen, so tief, dass die Zeit verrann, ohne dass man Langeweile empfand aber wiederum nicht tief genug, um beispielsweise ein Alarmsignal zu überhören.
Robina meinte, dass dieses Zeug, das ohne Nebenwirkung sein sollte, in ihrer Situation das Richtige sei.
Die täglichen Verrichtungen hatte Robina auf das Notwendigste reduziert. Nur im Unterbewusstsein dämmerte ihr manchmal, dass sie so eigentlich nicht mehr lebte, allenfalls vegetierte.
Zuweilen – meist nach den primitiven Mahlzeiten – lief sie ziellos in die Ebene hinaus, strich stundenlang umher, registrierte wie in Trance die Schönheit der Minerale, ohne sie voll zu erfassen unter dem Einfluss der Droge. Sie hätte nach solchen Ausflügen nicht zu sagen vermocht, was sie eigentlich gesehen hatte.
Mitunter, wenn die Wirkung der Droge nachließ, überlegte sie, ob sie vielleicht den Verstand verlöre. Aber sie sträubte sich nicht dagegen, empfand es ganz angenehm so. Und sie griff gewohnheitsmäßig, meist unterbewusst – wie früher süchtige Raucher zur Zigarette –, zu der Box mit den kleinen Kugeln, die ein Gefühl der Leichtigkeit aufkommen ließen, die das Zeitrad in schnellem Gang hielten.
Wäre nicht der Zähler in der Kabine gewesen, Robina hätte längst die Zeitorientierung verloren. Wenn sie ihn ablas und er ihr mehrere verstrichene Tage anzeigte, frohlockte sie.
Dieser Zähler war es auch, der sie jedes Mal daran erinnerte – und das übersah sie nie –, dass es wieder einmal soweit sei: Jeden Freitag raffte Robina sich auf, fuhr beinahe schlafwandlerisch mit dem Eselchen zum Ort ihrer Katastrophe, zum Wrack, erklomm dort über die Kristallkaskade die mächtige schräge Wand und ging, nun schon mit traumhafter Sicherheit, den komplizierten Weg zur Kuppel. Dort verharrte sie stundenlang, lauschte sitzend, den Kopf an den Bau gelehnt, dem aufschwellenden Ton, der aus den Hörern ihres Helms drang.
Sie starrte in den schwarzen Himmel, ohne zu denken, meist erfüllt von einem kindischen Glücksgefühl, das dieses Signal hervorzurufen schien.
Öfter war sich Robina des Obskuren, des Idiotischen ihres Handelns, ihres unwürdigen Lebens bewusst, aber stets fehlte ihr die Kraft, sich davon frei zu machen, und jeder Versuch erstickte unter der Frage: Wozu auch? Und indem sie diese Frage stellte, griff sie zur Droge und hatte dann für etliche Stunden keine Fragen mehr.
Es kam der Tag, an dem aus der kleinen Öffnung der Box keine Kugel mehr rollte. Es dauerte eine Weile, bis Robina das erfasste. Dann erinnerte sie sich träge: ‘Es müssten noch welche sein, nur wo?’
Immer noch benommen, aß sie etwas, stand dann auf, um einen Sauerstoffbehälter anzuschließen, und warf sich erneut aufs Lager. Sie griff mechanisch abermals zur Box, erinnerte sich, als ihre Hand leer blieb, dass die Kugeln ja ausgegangen waren, und schleuderte in einem plötzlichen Wutanfall den Behälter von sich.
So wurde Robina langsam richtig wach.
Sie lag noch eine Weile bäuchlings, spürte, wie sie sich beruhigte, und sie bemerkte, dass es in der Kabine unangenehm roch. Und dann – nach Wochen – nahm sie zum ersten Mal wieder ihre Umgebung bewusst wahr. Sie benötigte ein gutes Quantum an Selbstbeherrschung, um sich nicht sofort zu übergeben.
Wieder ging ihr Blick über die leere Box.
Danach zwang sie sich, die Kabine, vor allem deren Fußboden, gründlich zu mustern. Das heißt, der eigentliche Fußboden war kaum zu sehen! Leere Konservenbehälter überdeckten ihn, Lachen verschütteter oder ausgelaufener Flüssigkeiten standen zwischen Kleidungsstücken, dem Datentaster und den Teilen des schmutzten Raumanzugs.
Ekel erfasste Robina. Sie blickte an sich hinunter. Auf Brust und Oberschenkeln klebten gelbe Flecke eines angetrockneten Obstsaftes. Sie fuhr sich mit gespreizten Fingern durch das Haar und blieb darin
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