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Robinas Stunde null

Robinas Stunde null

Titel: Robinas Stunde null Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Alexander Kröger
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Autobahnzubringer drang zunehmender Lärm
herüber.
Sophie blickte überrascht, aufmerksam.
Aus der Stadt kommend, sauste ein großer offener Wagen
heran; sechs oder acht junge Leute, Frauen und Männer,
befanden sich auf der Ladefläche. Sie hatten das Wohnmobil
und Sophie entdeckt, winkten und schwenkten Flaschen,
lachten und riefen Unverständliches. Mit deutlichem DopplerEffekt verschwand das Gefährt in Richtung Autobahn.
Gedankenvoll streckte sich Sophie auf ihre Decke. ,Was wird
werden?’, dachte sie, und Niedergeschlagenheit befiel sie. –
    Mba kam gegen Abend. Er redete aufgekratzt, Darmstadt sei
eine schöne Stadt. Nicht umsonst habe man sie schon im
zwanzigsten Jahrhundert zur Wissenschaftsstadt erkoren, das
Europäische Raumflugkontrollzentrum hier angesiedelt.
    Trotz seiner Beredsamkeit und Schwärmerei merkte Sophie
ihm an, dass ihm das Erleben an diesem Tag zu schaffen
machte. Erst als Sophie nach dem Abendbrot fragte: „Du hast
Unerfreuliches erlebt, heute?“, nickte er ernst, und seine
Mitteilsamkeit versiegte.
    Erst am Mittag des zweiten Tages ihres Aufenthalts in dieser
Polizeistation kam der Ruf Mbas, sie möge sich bereithalten, er
hole sie ab, sie könne sofort in’s Archiv. –
6
    Bislang hatte Sophie in dieser neuen Welt die Erfahrung
gemacht, dass sich Leute, auch jene, die sich zunächst fremd
waren, freudig begrüßten, so als gebe jede neue Begegnung
einen Schub Selbstbewusstsein, ein Quant Optimismus. Nicht
so in diesem Archiv.
    Beeindruckt vom Prachtbau trat in der Vorhalle Sophie auf
eine Art Rezeption zu, hinter deren Tresen sie von einem ihr
misstrauisch entgegen sehenden ältlichen verhutzelten Mann
erwartet wurden.
    Sophies auf eine herzliche Begrüßung eingestellte Miene
gefror, als der Alte kaum ihren Gruß erwiderte und die
ausgestreckte Hand übersah. Stattdessen begann er näselnd,
ungepflegte, gelbe Zähne zeigend, Verhaltensregeln
vorzubeten, von denen die einschneidendste jene war, dass
täglich lediglich für zwei Stunden – er nannte die Uhrzeit – der
Zentralcomputer genutzt werden könne. Der Akkumulator
dürfe vom Archiv nicht länger beansprucht werden. Im
Übrigen sei er nur anwesend, um die Besucher einzuweisen. Er
habe anderes zu tun, als irgendwelchen Leuten nostalgische
Wünsche zu befriedigen. Er drückte Sophie einen
umfänglichen Katalog in die Hand, verwies auf den
elektronischen Wegweiser, der ebenfalls nach wenigen
Stunden abgeschaltet werde, und in äußerst dringenden Fällen
sei er in der Stadtverwaltung zu erreichen, ihr Begleiter
wüsste, wo. Sprach’s und wandte sich zum Gehen, nicht ohne
eine Wolke üblen Räucherdunst zu hinterlassen. ,Dieses Laster
hat also auch überlebt’, dachte Sophie naserümpfend.
    Etwas deprimiert versuchte Sophie einen Einstieg zu
gewinnen. Die wuchtige Pracht des Hauses half ihr dabei. Der
Bedeutung und dem damaligen Konkurrenzdruck angemessen,
hatte man nicht gekleckert, sondern geklotzt und ein Bauwerk
geschaffen, das den Beginn des Raumfahrtzeitalters reflektiert.
Als stände man im entkernten Raum eines mächtigen
Raketenkörpers, wenn man im 20 Meter hohen Atrium nach
oben blickte. Das Glasdach schuf den grenz freien Übergang
zum Kosmos. Die dazu ringförmig in zwei Etagen
angeordneten Büros konnten das gängige Modell einer
Raumstation symbolisieren. Ein zentraler geräumiger Korridor
führte vom Atrium zum eigentlichen Arbeitszentrum und den
Abteilungen der europäischen Bundesländer.
    Eine Weile bewunderte Sophie das in der Vorhalle
ausgestellte Modell, dann wandte sie sich den dezenten
Wegweisern zu, die sie zum Archiv führten.
    Es tat sich ein riesiger, in der Notbeleuchtung düsterer Raum
auf, dessen obere Begrenzung die Dunkelheit schluckte und
aus dem ihnen eine leicht modrige Luft entgegenschlug.
    Ebenerdig erinnerten, durch halbhohe Wände abgeteilte, als
Büroarbeitsplätze ausgestattete Kabinen an ein Labyrinth.
Da und dort befanden sich dunkle Flecke auf Möbel und
Fußboden.
Eine Sekunde lang schauderte es Sophie, als sie daran dachte,
dass in jedem dieser Abteile ein Mensch saß, als es geschah
und dass… War das der Grund, weshalb Mba so viel Zeit für
die Vorbereitung des Archivbesuchs benötigt hatte?
Dieses Großraumbüro begrenzte einen vieretagigen
Innenaufbau, erreichbar über mehrere Treppen und zwei
Fahrstühle, das eigentliche Lager der Archivalien.
Sophie und Mba gingen auf die unterste Abteilung zu; ihre
Schritte hallten unangenehm in dem menschenleeren

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