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Robinas Stunde null

Robinas Stunde null

Titel: Robinas Stunde null Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Alexander Kröger
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eine wuselige, lebensstrotzende Metropole an der
legendären Donau, so hatte Sophie die Stadt in Erinnerung.
    Was für ein Gegensatz! Auch hier unendliche Schlangen von
Autos, abgestellt an den Straßenrändern. Akribisch saubere
Hauptstraßen, kein Papierschnipsel, keine Zigarettenschachtel.
Aber in der dünnen Staubschicht auf dem Fußweg, hinterließen
die Schritte Abdrücke. Rot-weiße Bänder warnten vor dem
Betreten der Nebenstraßen.
    Mba hielt vor dem Hotel Nemzeti, das Gästen der
Kosmodromverwaltung zur Verfügung stand. Die Halle
erstrahlte in alter, nostalgisch gepflegter K-und-K-Pracht.
Doch statt beflissener Pagen und einem dienernden Portier
wies Mba auf einen riesigen, stilbrechenden Kühlschrank und
ein großes Regal und erläuterte: „Hier ist, was du brauchst
hier. Und bitte…“, er blickte treuherzig, ein wenig verlegen,
„hinterlasse Zimmer bezugsfertig für nächsten Gast. Wäsche
ist auch hier.“
    Als sie später die Rakóczi ùtja entlang bummelten, fragte
Sophie den nicht von ihrer Seite weichenden Mba, weshalb
man wohl die Nebenstraßen abgesperrt habe.
    Er zögerte mit der Antwort. „Häuser noch nicht beräumt“,
entgegnete er dann mit einem Schulterzucken.
Sophie fragte nicht weiter. Mittlerweile konnte sie sich
vorstellen, wovon die Gebäude noch nicht beräumt waren…
Trotz des lichten warmen Tages und der herausgeputzten
Bauten wurde es Sophie in der Leere und Stille der ehemals
durch Autos und Passanten prächtigen, verstopften und
lärmenden Rakóczi ùtja unheimlich.
Nach einer Viertelstunde begegnete ihnen ein Auto, dessen
Fahrer enthusiastisch mit Lichthupe und heftigem Winken
grüßte. Ansonsten nach wie vor menschenleer die Straße, auf
der man sich einst durch die Menge wursteln musste. Selbst zu
der Vaci ùtja, vormals ein Muss für jeden Budapestbesucher,
verwehrte ein Band den Zutritt.
In den allermeisten Schaufenstern lagen prächtig präsentiert
Waren aus. In einigen Auslagen von Juweliergeschäften
herrschte gelindes Durcheinander, Lücken klafften zwischen
den Exponaten, als hätte jemand hastig einige entfernt. Manche
Türen trugen Spuren gewaltsamen Öffnens.
Auf Sophies fragenden Blick hob Mba die Schultern.
„Kommt vor“, sagte er. „Aber nun vorbei. Jeder, was wollte,
hat. Leute begreifen, dass Anderes jetzt viel mehr wichtig ist.“
Als Sophie ein wenig zweifelnd die Stirn kraus zog, setzte er
hinzu: „Gibt Gruppe von Verwaltung, wo wichtige Dinge
sicherstellt. Aber dauert eben Zeit.“
Lange starrte, über das Geländer der ElisabethBrücke geneigt, Sophie in die träge gleitende, strudelnde
Donau. Auch hier kein Frachtkahn, kein Boot…
Geduldig ließ Mba die ihm anvertraute Frau gewähren,
mahnte nicht zur Eile und, im Gegensatz zu seinem Verhalten
während der Fahrt, er redete nicht ungefragt. Offenbar
empfand er, was in Sophie vorgehen mochte, die zum ersten
Mal so unmittelbar mit den schlimmen Folgen der Katastrophe
konfrontiert wurde.
Sie stiegen zur Fischerbastei empor. Noch spiegelten sich in
den bis dato blank gebliebenen Metallicscheiben des HiltonHotels in eigenartigen Windungen und Wellen die Türme der
Mátyás-Kirche, und wie eh und je genoss man den Blick
hinüber zum Parlamentsgebäude. Jenseits der in der Tat
bläulichen Donau grüßte das Panorama Pests. Und Sophie
wollte nicht begreifen, dass sie nicht wie einst über eine
quirlige Metropole, sondern über eine tote Stadt schaute. Und
es wurde ihr schwindlig bei dem Gedanken, dass nunmehr alle
Städte dieser Welt das gleiche Bild boten. –
Sophie disponierte um.
Ursprünglich sollte die weitere Reise mit dem einmal in der
Woche startenden Kleinflugzeug – sofern es Bedarf gab – nach
Berlin führen und von dort wieder mit einem Wagen nach
Darmstadt zum Zentralen Archiv des Europäischen
Raumflugkontrollzentrums ESA. Diese Planung hätte jedoch
bedeutet, sich noch tagelang in dem verödeten Budapest
aufhalten zu müssen; denn die Maschine flog erst in fünf
Tagen.
Die ausgestorbene Stadt zehrte derart an Sophies Nerven,
dass sie meinte, es keinen Tag länger aushalten zu können. Es
blieben nur die Spaziergänge in den bedrückenden
Hauptstraßen vorbei an den Absperrungen. Einmal besuchten
sie die berühmte Margareteninsel. Im Hotel waren sie und Mba
die einzigen Gäste. In der Zeit ihrer Anwesenheit in Budapest
begegneten ihnen ganze drei Autos.
Am dritten Tag nach ihrer Ankunft verließen sie in einem
kleinen Wohnmobil, das Mba aus der Vielzahl der

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