Robinas Stunde null
Auto steuerte tatsächlich auf sie zu; Sophie blickte sich
um. Außer ihr befand sich keine Seele in der Nähe. Die Crew
hatte das Landefahrzeug noch nicht verlassen.
Der Wagen hielt vor ihr, aus dem offenen Fenster neigte sich
ein Kopf, dessen Konturen mit dem dunklen Hintergrund des
Innenraums verschwammen, denn jener, der sich herausbeugte,
war selber kohlschwarz. Ein rundes Gesicht, eine spiegelnde
Glatze, das Weiß zweier Augen und eine Reihe blendender
Zähne strahlten sie an. „Bist du Sophie!“, betonte er ohne
jeden Zweifel. „Ich Mba, abhole dich. Komm rein.“
Anstalten, auszusteigen machte er nicht, sodass Sophie nach
einigem Zögern ihren Trolley in das Auto warf und selber im
Fond Platz nahm.
„Werde ich dich begleiten, ganze Zeit“, erklärte Mba
freundlich, indem er den Wagen gemächlich anfahren und über
den riesigen Platz rollen ließ.
Sie überquerten ein Areal, auf dem Dutzende von Flugzeugen
aller Typen und Couleur, Tank- und Gepäckwagen standen,
fuhren an einem monumentalen Empfangsgebäude vorbei und
passierten schließlich ein offen stehendes Tor, durch das sie
das Gelände des Kosmodroms verließen. –
2
Während der Fahrt begegneten sie keiner Menschenseele, aber
unentwegt sprach, mit einer Hand gestikulierend, Mba, obwohl
er das Fahrzeug lenken musste; denn wie fast alle technischen
Einrichtungen, die einer Aufsicht und Wartung bedurften,
funktionierte das Fahrleitsystem nicht. Großes Glück gehabt
hätten er, fuhr er in seiner Rede fort, er und siebzig weitere
Bergleute, die in den Eisenerzgruben von Kwekwe, dem
ehemaligen Simbabwe, in der zweiten Schicht arbeiteten. Wie
überhaupt die Kumpel weltweit Glück gehabt hätten, die sich
gerade unter Tage befanden. Jetzt sei er beim Sicherheitscorps
des Kosmodroms.
Auf Sophies halbherzige Rückfrage, weshalb ein
Bergmann… antwortete er mit wichtiger Miene, für Sophie
nicht ganz einer Logik entsprechend: „Na, wer sonst!“
Obwohl Mbas Redeschwall durchaus für Sophie interessante
Informationen enthielt, hörte sie nur zerstreut zu. Sie sog die
Bilder der Landschaft, durch die sie fuhren, gierig in sich auf.
Natürlich wusste sie, was Puszta ist, aber so, wie sie sich ihr
darbot, hatte sie sie nicht erwartet: Längs des Weges standen
Warntafeln, dass man sich nicht mehr als 30 Meter von der
Straße entfernen solle. Aber nicht das war es, was Sophies
Aufmerksamkeit voll in Anspruch nahm. In der riesigen Weite
grasten Herden von Tieren – auch nichts Außergewöhnliches,
wenn diese nicht so exotisch gemischt und von jeglicher
züchterischen Regelung anscheinend unberührt gewesen
wären: Neben den typischen Rindern, Pferden, Schafen und
Ziegen entdeckte Sophie da und dort ein Kamel oder
Dromedar, sogar einige Lamas und Gnus. Schweine stöberten
im Straßengraben. An Gebüschen und den lichten Wäldchen
standen Rehe. Einmal kreuzten drei Strauße gravitätisch den
Weg.
Mba bremste leicht. ,,Muss man aufpassen“, kommentierte
er.
Nun fragte Sophie verwundert: „Was haben die hier zu
suchen, woher kommen sie? Das ist doch nicht normal – und
so viele!“
„Was willst machen! Sind frei, mussten frei sein. Wie sagt
man auf Schiff: ,Rette, wer kann’ sich. Problem ist kalter
Winter und bald Futter.“
Zusammengesunken, tief in Gedanken, starrte Sophie in das
lichtüberflutete Land. Sie blickte auf die entfernt vom Weg
einzeln stehenden Gehöfte, meist, dem Tourismus geschuldet,
riedgedeckt. Niemand hebelte am Balken der Ziehbrunnen,
kein Rauch stieg auf. Nur die Störche umsorgten ihren
Nachwuchs, Krähen stolzierten, und in den
Heckenrosensträuchern am Weg zankten Spatzen.
,Eine paradiesische Idylle’, dachte Sophie, und sie lächelte
sarkastisch. –
In den Dörfern, die sie passierten, fuhr Mba schneller. Am
Straßenrand, in den Einfahrten und Carports standen Autos, in
den Vorgärten wucherte eine üppige Sommerflora, ungepflegt,
verwildert. Quer über etliche Pforten und Türen, insbesondere
an öffentlichen Gebäuden und Gaststätten, hingen, den Zutritt
verwehrend, schmale rotweiß gestreifte Bänder. Kein Mensch
bewegte sich in den Siedlungen, nur streunende Hunde, Katzen
und eine Unmenge Federvieh. Und bislang war ihnen, obwohl
sie bereits über eine Stunde fuhren, kein einziges Fahrzeug
begegnet.
Sophie fragte nicht. Sie kauerte sich noch mehr in den Sitz
des Wagens, lehnte sich an ihren Trolley und schloss die
Augen. ,Was für eine Welt!’ Eine unsägliche Traurigkeit befiel
sie. –
Budapest,
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