Robocalypse: Roman (German Edition)
Maschinen sehen.«
***
Wir brauchen nur ein paar Minuten, um den Rand des Lagers zu erreichen. Ich hebe Mathilda und Nolan über den gerade mal eineinhalb Meter hohen Zaun. Er ist so niedrig, damit potenzielle Retter eher versucht sind, darüber hinwegzusteigen. Den echten »Sicherheitszaun« bilden die im Boden versteckten Wachgeschütze.
»Komm rüber, Mami«, drängt Mathilda von der anderen Seite.
Aber aus der Wunde in meinem Bein strömt jetzt immer mehr Blut. Es läuft in meinen Schuh und schwappt von dort auf den Boden. Nachdem ich auch Nolan über den Zaun gehoben habe, kann ich mich vor Erschöpfung nicht mehr bewegen. Allein bei Bewusstsein zu bleiben kostet mich übermenschliche Anstrengung. Ich klammere mich an den Maschendrahtzaun, um mich aufrecht zu halten, und betrachte zum letzten Mal meine Kleinen. »Ich werde euch immer lieben. Egal, was passiert.«
»Was meinst du damit? Komm jetzt. Bitte«, sagt sie.
Mir schwindet die Sicht, mein Blickfeld zieht sich immer enger zusammen. Ich sehe die Welt durch zwei Löcher, die nicht größer als Nadelstiche sind – der Rest ist Dunkelheit.
»Nimm Nolan und lauf weg, Mathilda.«
»Aber Mom, das geht nicht. Da sind doch überall Gewehre. Ich kann sie sehen. «
»Konzentrier dich, mein Schatz. Du hast jetzt eine besondere Gabe. Schau, wo die Waffen sind. Wo sie hinschießen können. Such dir einen sicheren Weg. Nimm Nolan an die Hand und lass ihn nicht los.«
»Mami?«, sagt Nolan.
Ich blende alle Gefühle aus. Es geht nicht anders. Ich kann das Mahlen der Motoren hören, während hinter mir die Grashüpfer über das ganze Gelände ausschwärmen. Ich sacke am Zaun zusammen. Irgendwie finde ich die Kraft, meine Tochter anzuschreien.
»Mathilda Rose Perez! Ich lasse mich auf keine Diskussion ein. Nimm jetzt deinen Bruder und verschwinde. Lauf. Bleib nicht stehen, bis du ganz weit fort bist. Hörst du? Lauf, und zwar sofort. Sonst wird Mami sehr böse.«
Mathilda fährt erschrocken zusammen. Zögernd macht sie einen Schritt rückwärts. Ich kann spüren, wie mein Herz bricht. Es ist ein betäubendes Gefühl, das von meiner Brust ausgeht und alle Gedanken verdrängt – meine Angst auffrisst.
Mathildas Mund wird zu einer schmalen Linie. Über den monströsen stumpfen Netzhautimplantaten ziehen sich auf vertraute Weise ihre Brauen zusammen. »Nolan«, wendet sie sich an ihren Bruder. »Halt dich gut an meiner Hand fest. Lass nicht los. Wir müssen jetzt rennen. Ganz, ganz schnell, in Ordnung?«
Nolan nickt und packt ihre Hand.
Meine tapferen kleinen Soldaten. Zum Überleben geboren.
»Ich liebe dich, Mami«, sagt Mathilda.
Und dann sind meine Lieblinge verschwunden.
Zu Laura Perez existieren keine weiteren Aufzeichnungen. Zu Mathilda Perez dafür umso mehr.
Cormac Wallace MIL #GHA 217
VI.
Band-e-Amir
»Das ist doch keine Waffe, oder?«
Paul Blanton
Neuer Krieg + 10 Monate
In den schwierigen Monaten, die auf Stunde null folgten, gelang es Specialist Paul Blanton nicht nur zu überleben: Er blühte sogar regelrecht auf. Im folgenden Bericht schildert er den Fund eines für den Verlauf des Neuen Krieges eminent wichtigen Artefakts – das ihm ausgerechnet auf seiner Flucht durch die lebensfeindlichste Umgebung in die Hände fiel, die man sich nur vorstellen kann.
Schwer zu sagen, ob der junge Übersetzer einfach nur Glück hatte oder seine Karten richtig ausspielte oder beides. Meiner Meinung nach ist aber für jeden, der so eng mit Lonnie Wayne Blanton verwandt ist, der Weg zum Heldentum nicht allzu weit.
Cormac Wallace MIL #GHA 217
J abar und ich liegen auf einem Bergkamm und blicken durch unsere Ferngläser.
Es ist ungefähr zehn Uhr morgens. Trockenzeit in Afghanistan. Vor etwa einer halben Stunde haben wir Kommunikationssignale von Avtomaten aufgefangen. Nur ein flüchtiges Funkgestöber, vermutlich an einen in der Nähe herumstreunenden Späher gerichtet. Doch der Empfänger könnte natürlich auch ein dicker Panzer gewesen sein. Oder was noch Schlimmeres. Also haben Jabar und ich beschlossen, die Stellung zu halten, bis das Ding hier auftaucht.
Ja, eine ziemlich selbstmörderische Entscheidung.
Die Einheimischen, bei denen wir nach Stunde null unterkommen wollten, erwiesen sich als extrem misstrauisch, was mich angeht. Sie haben Jabar und mir verboten, uns dem Herzstück ihres Lagers zu nähern. In diese künstlichen, in der Provinz Bamiyan gelegenen Höhlen hat sich der größte Teil der afghanischen Zivilbevölkerung geflüchtet.
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