Robocalypse: Roman (German Edition)
abgekriegt, aber sie sind nicht tief, und ansonsten ist er unverletzt.
»Er hat deinen Rucksack gefressen, du verdammter Glückspilz«, sage ich.
Er weiß nicht, ob er lachen oder weinen soll, und mir geht es genauso.
Ich bin froh, dass der Junge am Leben ist. Seine Leute würden mich auf der Stelle hinrichten, wenn ich blöd genug wäre, ohne ihn zurückzukommen. Außerdem hat er anscheinend ein gutes Auge für angreifende Schneeleoparden. Das könnte sich noch als nützlich erweisen.
»Lass uns endlich von diesem verdammten Berg runtersteigen«, schlage ich vor.
Doch Jabar steht nicht auf, sondern bleibt sitzen und starrt den blutenden Kadaver des Schneeleoparden an. Er streckt eine seiner schmutzigen Hände aus und berührt flüchtig die Tatze des Tiers.
»Was ist das?«, fragt er.
»Ich musste ihn töten, Mann. Hatte keine Wahl.«
»Nein«, sagt Jabar. »Ich meine das hier.«
Er beugt sich weiter vor und schiebt den mächtigen Kopf des Leoparden zur Seite. Jetzt sehe ich etwas, das ich mir nicht erklären kann. Ganz ehrlich, ich habe nicht den Ansatz einer Erklärung dafür.
Unmittelbar unterm Kinn schaut aus dem Fell eine Art Halsband hervor, das offensichtlich aus der Hand der Avtomaten stammt: ein hellgraues Plastikband mit einer murmelgroßen Kugel in der Mitte. Auf der Rückseite der Kugel pulsiert ein winziges rotes Lämpchen.
Muss irgendeine Art Funkhalsband sein.
»Jabar. Geh fünfzig Meter seitwärts und stell deine Antenne auf. Ich geh in die andere Richtung. Lass uns rausfinden, wo die Daten hingehen.«
Am frühen Nachmittag haben wir die Raubkatze bereits ein ganzes Stück hinter uns gelassen, begraben unter Steinen. Ich habe die Wunden auf Jabars Rücken verbunden. Er ließ es schweigend über sich ergehen; vermutlich war es ihm peinlich, dass er vorher so geschrien hatte. Er weiß nicht, dass ich nur einfach zu viel Angst zum Schreien hatte. Und ich sag’s ihm auch nicht.
Wir folgen der Richtung der Funkdaten am nächsten See vorbei zu einer kleinen Bucht. Auf dem festen Boden nahe der immer steiler werdenden Felswand bewegen wir uns zügig am Ufer entlang.
Jabar sieht die Fußabdrücke zuerst.
Der modifizierte SIB ist hier vorbeigelaufen. Die Abdrücke führen um die nächste Biegung, genau zum Empfangsort der Funkdaten. Jabar und ich sehen uns in die Augen – wir haben unser Ziel erreicht.
»Tum ghusti ho, Paul«, sagt er.
»Dir auch viel Glück, Kumpel.«
Wir umrunden die letzte Ecke, und schon stehen wir vor der nächsten Stufe der Avtomaten-Evolution.
Er schwimmt halb unter, halb über dem Wasser – der größte Avtomat, den ich je gesehen habe. Ähnelt einem Gebäude oder einem riesigen, knorrigen Baum. Als Beine dienen der Maschine Dutzende Metallplatten, die Blütenblättern gleichen. Jede Platte ist so groß wie der Flügel eines B-52-Bombers und mit Moos, Schlingpflanzen und Blumen überwachsen. Sie schlagen so sanft aufs Wasser, dass man es kaum sieht. Schmetterlinge, Libellen und andere einheimische Insekten huschen über die grasigen Platten. Der weit in den Himmel ragende Stamm besteht aus Dutzenden wild ineinander verdrehten Strängen.
Ganz oben formen ebenfalls chaotisch verschlungene, rindenartige Strukturen beinah so etwas wie ein fraktales Muster, bilden eine organisch wirkende Krone. In den sicheren Zweigen dieser Krone haben Tausende Vögel ihre Nester gebaut. Der Wind seufzt durch den bunten Wirrwarr und bringt alles sanft zum Schaukeln.
Auf den unteren Ebenen spazieren ein paar Dutzend zweibeinige Avtomaten mit behutsamen Schritten umher. Sie untersuchen die vielen verschiedenen Lebensformen, beugen sich über Blätter und Blüten, befühlen und betasten sie. Wie Gärtner. Jeder deckt sein eigenes kleines Gebiet ab. Sie sind schmutzig, nass, und manche haben sogar selbst schon Moos angesetzt. Doch das scheint ihnen nichts auszumachen.
»Eine Waffe ist das nicht, oder?«, frage ich Jabar.
»Im Gegenteil. Es steckt voller Leben«, erwidert er.
Mir fallen die Antennen auf, die wie Bambus aus den obersten Ästen stehen und sich sanft im Wind wiegen. Dort in den Zweigen sitzt auch der einzige Bestandteil der riesigen Maschine, der sofort als Metall zu erkennen ist – eine große, wie ein Windtunnel geformte Röhre. Sie zeigt Richtung Nordosten.
»Für gebündelte Funkstrahlen«, erkläre ich und richte den Finger auf die Röhre. »Funktioniert vermutlich mit Mikrowellen.«
»Was könnte dieses Ding sein?«, fragt Jabar.
Ich sehe mir das Ganze
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