Robocalypse: Roman (German Edition)
aus dem Scheinwerferkegel heraus, und mir wird klar, dass das am Zaun keine Altkleidersammlung ist. Die Konturen sind jetzt deutlich zu erkennen. Es ist eine Leiche. Nein, es sind mehrere. Ein ganzer Haufen davon. Sie liegen da wie buntes Bonbonpapier, das der Wind gegen den Stacheldrahtzaun getrieben hat. Die verrenkten Glieder in der Kälte wie zu Stein erstarrt. Die großen Kleckse vor mir auf dem Boden – unter meinem Gesicht – sind kein Öl.
Es ist offenbar gar nicht lange her, da sind hier viele Menschen gestorben.
»Ihr habt sie verdammt noch mal getötet? «, frage ich ungläubig.
Jack gibt ein leises Stöhnen von sich. Der Soldat gluckst wieder auf diese komische Art. Mit knarrenden Stiefeln kommt er zu mir zurückgeschlendert. »Verflixt, Sergeant. Ihr Bruder weiß nicht, wann er besser den Mund hält, oder?«
»Nein, weiß er nicht«, sagt Jack.
»Dann will ich’s dir mal beibringen, Freundchen«, meint der Soldat.
Ich spüre die Stahlkappe des Stiefels hart in meinen Rippen landen. Ich bin zu überrascht, um aufzuschreien. Wie von selbst weicht mir sämtliche Luft aus der Lunge. Als die nächsten zwei, drei Tritte auf mich einhageln, habe ich bereits die Embryonalstellung eingenommen.
»Er hat’s kapiert«, ruft der gesichtslose Carl aus dem Dunkeln. »Ich glaube, er hat’s kapiert, Corporal.«
Ich kann mein Stöhnen nicht unterdrücken – anders bekomme ich keine Luft.
»Lasst uns einfach gehen«, sagt Jack. »Wir sind schon weg, Mann. Wir sind schon weg.«
Die Tritte hören auf. Der Soldat gluckst wieder. Scheint ein nervöser Tick zu sein. Seine Pistole gibt ein metallisches Klicken von sich, als er sie durchlädt.
Carl schaltet sich von seinem unsichtbaren Turm aus ein: »Sir? Davon hat es doch schon genug gegeben, meinen Sie nicht? Lassen wir’s gut sein.«
Nichts.
»Corporal, lassen wir’s gut sein«, wiederholt Carl.
Die Pistole feuert nicht, aber ich kann die gesichtslosen Stiefel vor mir warten sehen. Sie warten darauf, dass ich etwas sage, noch irgendeinen Laut von mir gebe. Zusammengekrümmt konzentriere ich mich darauf, trotz meines schmerzenden Brustkorbs irgendwie Luft zu kriegen.
Zu sagen habe ich nichts mehr.
***
Der Soldat hatte recht: Bevor wir die Flüchtlinge erblicken, können wir sie riechen.
Wir erreichen das Camp kurz nach Mitternacht. Unten an den Ufern des Hudson lagern Tausende Menschen, stehen unschlüssig herum, suchen nach Angehörigen. Ein alter Eisenzaun grenzt den schmalen, langgezogenen Uferstreifen von der Straße ab, und das Gelände ist zu unwegsam für Hausroboter.
Diese Menschen haben sich zu Fort Bandon durchgeschlagen, wurden dort jedoch abgewiesen. Sie haben Koffer, Rucksäcke und Müllbeutel mit Kleidung dabei. Sie haben ihre Eltern, Frauen, Männer und Kinder mitgebracht. Die ganze riesige Menschenmasse hält sich mit aus Möbeln zusammengestückelten Lagerfeuern warm, benutzt den Fluss als Latrine und überlässt den Müll einfach dem Wind.
Die Temperatur liegt knapp über null. Viele Flüchtlinge schlafen, unter schmutzigen Decken, in gestohlenen Zelten, auf dem Boden. Es gibt Prügeleien, Messer blitzen auf, hin und wieder fällt ein Schuss. Die Flüchtlinge sind wütend, ängstlich und hungrig. Manche gehen bettelnd von Zelt zu Zelt. Manche stehlen Feuerholz und anderen Kleinkram. Manche gehen Richtung Stadt davon und kehren nicht zurück.
Alle diese Menschen warten auf etwas. Worauf, weiß ich nicht genau. Auf Hilfe, vermutlich.
In der Dunkelheit wandern Jack und ich zwischen den Flüchtlingsgruppen und Lagerfeuern das Ufer entlang. Ich halte mir ein Taschentuch vor die Nase, um den Geruch von zu viel Menschheit auf zu engem Raum besser ertragen zu können. Instinktiv fühle ich mich verletzlich unter so vielen Leuten.
Jack geht es ebenso.
Er tippt mir auf die Schulter und zeigt auf einen kleinen, mit Gestrüpp bedeckten Hügel. Von dort hat man einen guten Überblick. Zwischen den braunen Grasbüscheln sitzen ein Mann und eine Frau nebeneinander, vor ihnen steht eine kleine Campinglaterne. Wir gehen zu ihnen rüber.
Und so lernen wir Tiberius und Cherrah kennen.
Der riesige Schwarze, der da auf dem Hügel sitzt, trägt ein Hawaiihemd und eine lange Unterhose, und seine Unterarme ruhen entspannt auf seinen angezogenen Knien. Neben ihm blickt uns eine zierliche Indianerin mit feindselig zusammengekniffenen Augen entgegen. In der Hand hält sie ein stark abgewetztes Jagdmesser.
»Howdy«, rufe ich ihnen zu.
»Was?«,
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