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Rocking Horse Road (German Edition)

Rocking Horse Road (German Edition)

Titel: Rocking Horse Road (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Carl Nixon
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hinter geschlossenen Gardinen. Lucys gewaltsamer Tod rückte ihre ganze Familie in den Mittelpunkt des Interesses. Wann immer einer der Ashers erschien, traten bestimmte Leute ans Fenster und beobachteten sie. Telefonanrufe liefen von Haus zu Haus, um die feinsten Veränderungen sofort zu berichten, selbst wenn es sich um minimale Abweichungen vom Normalen handelte. Der einzige Bericht aus erster Hand, den wir aus dem Haus der Ashers in diesen ersten Tagen nach dem Begräbnis haben, stammt von Roy Moynahan (Transkription: Exponat 8F). Roys Mutter und Mrs. Asher hatten dem Kinderschutzbund angehört. Mrs. Moynahan bestand darauf, daß Roy und seine achtjährige Schwester sie begleiteten bei ihrem Beileidsbesuch bei den Ashers zwei Tage nach dem Begräbnis.
    Roys Mutter mußte das Band der Polizeiabsperrung anheben, um zur Hintertür zu gelangen. Dieses gelbe Band war um die ganze hintere Veranda gewickelt, für Roy sah das Haus wie ein riesiges Geschenk aus, das man an Weihnachten übersehen hatte. Seit Lucys Leichnam gefunden worden war, befanden sich ununterbrochen Polizisten im Haus. Als die Moynahans eintrafen, hatten die Polizisten jedoch gerade Mittagspause. Nur einer war geblieben, ein großer Mann von Anfang Zwanzig, der sich vor der Tür herumtrieb und sich ausgesprochen unwohl zu fühlen schien in seinem steifen blauen Hemd mit Krawatte. Er fragte sie nach dem Grund ihres Besuches und vermerkte Mrs. Moynahans Namen in einem schwarzen Notizbuch.
    Roy gestand, daß es schwer für ihn war, einen genauen Eindruck vom Inneren des Hauses zu bekommen – wegen all der Blumen. Sie bedeckten sämtliche Möbel. Es waren so viele geworden, daß Mrs. Asher aufgegeben hatte, sie in Vasen zu stellen. Riesige Sträuße lagen auf dem Küchentisch und auf Stuhllehnen, auf der Küchenbank und sogar auf dem Boden. Sie welkten in der Hitze und verströmten ihren Duft in dichten Wellen. Mrs. Asher hielt die Fenster geschlossen, und Roy sagte, von dem Geruch und der Hitze sei ihm fast schlecht geworden. Roy und seine Mutter und Schwester mußten helfen, Blumen zur Seite zu schaffen, damit sie sich an den Küchentisch setzen konnten.
    Mrs. Asher saß ihnen mit durchgedrücktem Rücken gegenüber und bot Muffins an. Sie trug denselben langen schwarzen Rock und dieselbe hochgeschlossene weiße Bluse wie bei der Beerdigung. Roy sagte, ihr langes Haar war so straff zurückgekämmt, daß ihre Augen wie staunend geweitet waren. »Sie war wie eine Figur aus diesem Film über die außerirdischen Körperfresser. Stocksteif und gruselig.« Wir wußten genau, was er meinte.
    Zu der Zeit hatte noch niemand eine Klimaanlage, und Roy trug sein Sonntagsjackett. Der Schweiß lief ihm in Strömen den Rücken runter. Seine jüngere Schwester saß neben ihm und schniefte. Emma Moynahan hatte eine Sommergrippe, aber Roy nahm an, Mrs. Asher glaubte, das Mädchen schniefe aus Kummer, weil sie um Lucy trauerte.
    Während seine Mutter redete, sah sich Roy vorsichtig um, er wollte nicht, daß es auffiel. Er bemerkte einzelne Stellen mit hellgrauem Staub auf dem Tischrand und den Fensterbrettern, als wäre da ein großer Falter abgestürzt und im Kreis geflattert, bis er wieder hochkam. Roy brauchte eine Zeitlang, bis er erkannte, daß es Graphitpuder war, den die Polizei ausgestreut hatte, um Fingerabdrücke zu finden.
    Lucys Vater war nur in den Fotos an der Wand hinter Mrs. Asher anwesend. Hauptsächlich Porträtaufnahmen, Brustbilder, wie man sie jedes Jahr in der Schule macht, wenn die Klassenfotos aufgenommen werden. Es gab auch ein paar Schnappschüsse, die man offenbar für gut genug gehalten hatte, sie zu vergrößern und zu rahmen.
    Lucy und Carolyn auf einer Wippe, Lucy vielleicht vier, Carolyn noch ein Baby.
    Lucy am Strand, in die Kamera grinsend. Ein Schneidezahn fehlt.
    Lucy mit einem Elternteil: mit ihrem Vater und einem kleinen schwarzweißen Hund am Strand; mit ihrer Mama auf dem Gehweg vor dem Laden.
    Es gab alle möglichen Kombinationen von Eltern und Töchtern, aber Roy entdeckte nur ein einziges Foto, auf dem alle vier Ashers zusammen zu sehen waren – eine professionelle Aufnahme, die in einem Park gemacht wurde, der grüner war als alles, was The Spit zu bieten hatte. Seiner Meinung nach war das Bild erst kürzlich entstanden, vermutlich im letzten Frühjahr. Alle Ashers posierten unter einem großen Baum. Der schlanke, große Mr. Asher sah steif und fremd aus in Anzug und Krawatte. Die blasse Mrs. Asher stand rechts von ihm und

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