Rocking Horse Road (German Edition)
Zeitung hingewiesen wurde; dort sollte man anrufen, wenn man irgendwelche Informationen zu Lucys Ermordung hatte. Es muß hinzugefügt werden, daß Roy und Al Penny Lucys Tagebuch sofort der Polizei übergeben wollten, doch sie fanden keine Mehrheit dafür.
Jase Harbidge sprach sich am engagiertesten gegen beides aus. Er argumentierte, daß die Polizei SJ bestenfalls vernehmen würde. »Wenn er seine Spuren verwischt hat und ein guter Lügner ist, dann lassen sie ihn laufen, darauf könnt ihr Gift nehmen. Das passiert andauernd.«
Wir kamen nicht weiter. Wir waren wie zwei gleichstarke Mannschaften beim Tauziehen, keine der beiden Seiten bewegte sich auch nur einen Zentimeter.
Es war für uns alle eine große Überraschung, daß Jase und Pete Marshall es auf sich nahmen, das Patt zu beenden, indem sie in SJs Haus einbrachen. Das war keine Entscheidung der Gruppe. Sie verabredeten sich in der Nähe des Hauses zu einer Zeit, als SJ, wie sie wußten, in der 10. Klasse Englisch gab.
Es war Montag, der 6. Juli, und ein paar dunkle Wolken hingen über dem Meer – für den Abend war ein schwerer Sturm vorhergesagt.
Später erzählte uns Pete, daß sie ihre Räder auf dem verwilderten Grundstück neben SJs Haus versteckten. Sie standen im hohen Gras und sammelten ihren ganzen Mut zusammen. Das Gras war noch naßkalt von einem leichten Regen früher am Tag, und es schüttelte sich im kalten Ostwind trocken.
Pete und Jase zwängten sich durch eine Lücke im Bretterzaun auf SJs Grundstück. Sie befand sich hinter dem Geräteschuppen, durch dessen offene Tür sie den Motormäher sahen. Die Hintertür des Hauses war abgeschlossen, aber Jase nahm einen der weißgekalkten Steine, wickelte ihn in einen Rugbystrumpf von der Wäscheleine und schlug damit die untere Glasscheibe der Tür ein. Vorsichtig griff er durch das Loch und schob einen Riegel zurück. Plötzlich waren sie drin, viel schneller als erwartet.
Pete hat einigen von uns unter dem Siegel der Verschwiegenheit erzählt, daß Jase sofort anfing, Schubladen rauszuziehen und ihren Inhalt auf den Boden zu kippen. »Er schien eine Mordswut zu haben, er rastete total aus. Ich hielt es für keine gute Idee, ihn zu bremsen.« Messer, Gabel und Löffel ergossen sich auf das Linoleum, zusammen mit Schneebesen, Korkenziehern und einem Quirl. Bald war der ganze Küchenboden mit Besteck bedeckt.
Jase und Pete hatten keine Ahnung, wonach sie suchen sollten, und Pete gestand später, daß ihnen das schon bald völlig egal war. Er sagte, er habe eine Mehltüte gegen die Küchenwand geworfen, wo sie in einer weißen Wolke zerplatzte. Sie rissen alle Lebensmittel aus den Schränken, aufgerissene Verpackungen lagen überall herum. Makkaroni und Cornflakes knirschten unter ihren Schuhen wie Muscheln am Strand. Eier flogen gegen die Wände. Sie drehten den Heißwasserhahn auf wie die Tourgegner.
Als sie mit der Küche fertig waren, wandten sie sich dem Rest des Hauses zu. SJs Schlafzimmer war rasch auf den Kopf gestellt. Seine überraschend spärliche Garderobe schmissen sie durchs Zimmer, ein paar Hemden wurden zerfetzt. Sie rissen das Bettzeug herunter und hoben die Matratze aus dem Rahmen; wie betrunken lag sie nun da und blockierte halb die Tür.
Das nächste Zimmer hatte SJ zur Dunkelkammer umfunktioniert. Als sie die Tür aufrissen, schlug ihnen eine Wolke von Chemikaliengestank entgegen. Pete tastete an der Wand nach dem Lichtschalter. Als er ihn schließlich gefunden hatte, sahen sie, daß die Fenster von innen mit schwarzer Plastikfolie verklebt waren. An der Wand stand ein Tapetentisch voller Flaschen mit Entwicklern und Fixierlösungen. SJ besaß sogar einen offenbar ziemlich aufwendigen Vergrößerungsapparat, mit dem er Bilder verändern konnte. Das Paket mit den Abzügen lag offen da. Jase öffnete es und blätterte die Fotos durch. Er wollte nie recht mit der Sprache heraus über das, was an diesem Morgen passiert ist, vielleicht fühlt er sich schuldig, weil er SJs Haus verwüstet hat. Vielleicht aber packt ihn noch immer die kalte Wut bei dem Gedanken daran, was er dort gefunden hat. Noch Jahre später erinnerte sich Pete, daß er Jase japsen hörte, als hätte man ihm einen Schlag in die Magengrube versetzt.
Sogar nach heutigen Maßstäben waren die Fotos von Lucy pornographisch.
Südstürme waren an der Ostküste keine Seltenheit. Jeden Winter bliesen sie von der Antarktis hoch, böig und geladen mit der Gischt des Südlichen Eismeers. Doch die Heftigkeit des
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