Römer im Schatten der Geschichte
Freigelassene sich auf ihren Grabsteinen durch die Nennung ihrer früheren Herren oft als Ex-Sklaven zu erkennen geben.
Freigeborener
: C. Cornelius Cai filius Lupulus = Gaius Cornelius Lupulus, Sohn des Gaius.
Freigelassener
: C. Cornelius Cai libertus Lupulus = Gaius Cornelius Lupulus, Freigelassener des Gaius.
Der Freigelassene Gaius Lupulus hätte das »Freigelassener des Gaius« ohne weiteres weglassen können. Der Einschub war ebenso wenig nötig wie die Nennung des Vatersnamens (»Sohn des Gaius«). Zu betonen ist, dass derjenige, der seine Freiheit erlangt hatte, sich dieser Leistung stark bewusst war und sie freiwillig auf seinem Grabstein bekunden wollte. Er war stolz darauf, die Freiheit erlangt zu haben und als freier Mann zu sterben. Gleichzeitig schien es andere Teile der breiten Bevölkerung im Alltag wenig zu kümmern, ob sie einen Freigelassenen vor sich hatten oder nicht.
Wie hoch war die Zahl der Freigelassenen? Wie gesagt, war der Status wesentlich dadurch begrenzt, dass er nur auf diejenigen Sklaven anzuwenden ist, die von römischen Bürgern freigelassen wurden. Diese Bürger stellten bis zur allgemeinen Verleihung des Bürgerrechts im Jahr 212 n. Chr. gerade zehn bis fünfzehn Prozent der Gesamtbevölkerung des Imperiums. Die Zahl ihrer Freigelassenen betrug ungefähr eine halbe Million. Man bedenke, dass der Status mit der ersten Generation erlosch. Innerhalb einer zahlreichen Bürgerschaft wie in Italien oder einer Kolonie römischer Bürger war zu jedem beliebigen Zeitpunkt vielleicht nur eine von zwanzig Personen ein Freigelassener oder eine Freigelassene. In Gebieten mit wenigen römischen Bürgern musste man vermutlich weit über hundert Leuten begegnen, bevor man vor einem Bürger und Freigelassenen stand. Diese Angaben sind zwangsläufig sehr grobe Schätzungen, da demographische Informationen fehlen. Sie geben aber einen gewissen Hinweis auf die tatsächlich sehr geringe Zahl, vor allem im Vergleich zum Anteil der Sklaven, der etwa neun Millionen (15 %)der Gesamtbevölkerung betrug, mit zeit- und ortsbedingten Schwankungen natürlich. Von einer Bevölkerung aus Freigelassenen, die eine freie Bevölkerung »übermannte« oder auch nur zahlenmäßig sehr stark ins Gewicht fiel, kann keine Rede sein. Dieser Schluss steht in klarem Widerspruch zum Bild des »Orontes, der in den Tiber fließt«, das die Eliten heraufbeschwören, und ebenso zur angeblichen Beweiskraft der Namen von Freigelassenen, die ich im Vorangehenden kritisch untersucht habe.
Die Stimmen der Freigelassenen
Es ist an der Zeit, die Freigelassenen für sich sprechen zu lassen. Doch zuvor soll der Sohn eines Freigelassenen zu Wort kommen: Quintus Horatius Flaccus, der berühmte Dichter Horaz. In seinen
Satiren
(1,6,65 – 88) berichtet er, dass sein Vater ein Sklave war, der vermutlich während der Bürgerkriegsunruhen im frühen 1. Jahrhundert v. Chr. versklavt worden war. Er wurde freigelassen, arbeitete als Steuereinnehmer und lebte in Venusia. Seinem Sohn wollte er eine gute Bildung zukommen lassen, weshalb er ihn nicht auf die Schule von Venusia, sondern auf eine Schule in Rom schickte. Horaz zufolge wollte sein Vater nur, dass sein Sohn im selben Rahmen erfolgreich würde wie er. Aber die väterliche Fürsorge brachte höheren Gewinn. Seine Begabung verschaffte Horaz Eingang in den Kreis des Maecenas, Schirmherr der Künste in Rom. Horaz ist damit ein offenkundiges Beispiel für den väterlichen Ehrgeiz eines Freigelassenen. Es gibt keinen Anhaltspunkt dafür, dass der Vater sich seines Status oder seines Berufs schämte – und dennoch wünschte er, dass seinem Sohn dank guter Bildung und Beziehungen der gesellschaftliche Aufstieg gelang. Horaz betont die allgemeine Tendenz, Personen, deren Vater ein Freigelassener ist, Geringschätzung spüren zu lassen. Doch es war nur der Versuch »emporzukommen«, der dem Sohn in den Augen der elitären Gesellschaft, mit der er jetzt herumzog, als Makel anhing. Dieser Sohn verleugnete seinen Vater nicht, sondern respektierte, was sein Vater, der Freigelassene, für ihn getan hatte, dass er ihn nach strikten moralischen Prinzipien erzogen und ihm geholfen hatte, vorwärtszukommen. Wäre Horaz im Berufsfeld seines Vaters verblieben und Kaufmann, Auktionator oder Steuereintreiber geworden, sein Vater hätte sich, wie der Sohnversichert, nicht beklagt. Im Vater des Horaz sehen wir also einen Freigelassenen, der stolz war auf das Erreichte, zufrieden mit der eigenen
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