Römer im Schatten der Geschichte
die meisten das nächstliegende Mittel, ob mit oder ohne anschließenden Eingriff der Behörden. Bei Unfrieden in größerem Rahmen, so wenn das Volk mit den Ämtern im Streit lag oder den Verdacht hatte, dass zum Beispiel die Reichen während einer Hungersnot Getreide zurückhielten, war die natürliche Reaktion der Aufruhr, entweder um die angeblichen Übeltäter einzuschüchtern oder gar zu töten oder um ihren Besitz zu zerstören. In einer Episode im
Goldenen Esel
schleppt eine Horde Städter Lucius vor den Magistrat, und er entkommt erst, als sich zeigt, dass er das Opfer in einem »Fest des Lachens« ist. Paulus hatte bei ähnlichen Gelegenheiten ein paarmal weniger Glück. Sein Fall ist vielmehr ein Beispiel dafür, wie die Menschen auf soziale Ärgernisse reagierten. In Ephesos predigte und lehrte Paulus in den Synagogen, doch die Silberschmiede der Stadt glaubten, wie wir sahen, ihre Einkünfte bedroht und wurden aktiv – ergriffen zwei Gefährten des Paulus und schleppten sie zum Theater, wo das Volk und der Magistrat versammelt waren. Hier versuchten die Beamten die Menge zu beruhigen und zum Abzug zu bewegen, doch diese erreichteam Ende ihr Ziel: Paulus verließ alsbald die Stadt (Apostelgeschichte 19, 35 – 20,1). Und das mit Grund, denn Ähnliches hatte er, mit schlimmeren Folgen, schon in Philippi erlebt. Dort hatte er eine Sklavin von ihrem »Wahrsagergeist« geheilt, sehr zum Ärger ihrer Besitzer, die sich ihrer Gewinne beraubt sahen. Sie ergriffen Paulus und seinen Begleiter Silas und brachten beide auf den Markt vor die Obrigkeit, die den Wünschen der Menge entsprach:
Und das Volk ward erregt wider sie; und die Hauptleute ließen ihnen die Kleider abreißen und hießen sie stäupen. Und da sie sie wohl gestäupt hatten, warfen sie sie ins Gefängnis und geboten dem Kerkermeister, daß er sie wohl verwahrte. Der, da er solches Gebot empfangen hatte, warf sie in das innerste Gefängnis und legte ihre Füße in den Stock. (Apostelgeschichte 16,22 – 24)
Jeden, den man als Störenfried empfand, durfte man attackieren, und eine kleine Zahl Einheimischer konnte die Menge aufwiegeln, wie die Silberschmiede in Ephesos oder das wohlhabende Brüderpaar in Philippi. Der einfache Mann hatte in seiner Heimat weniger zu fürchten, obwohl auch er betroffen sein konnte, so wenn der Vater zweier Söhne den älteren Sohn des Mordes beschuldigte und den Versuch machte, die Volksmenge anzustacheln, auf einen Prozess zu verzichten und den Beschuldigten zu steinigen (
Der goldene Esel
10,6 – 12). Gewöhnlich aber war der einfache Mann Teil des Mobs, denn die Angegriffenen waren meist entweder Außenseiter oder Angehörige der Elite. Ein Beispiel dafür ist die Bürgerwehr in Apuleius’ Erzählung von den Priestern der syrischen Göttin. Diese waren durch die Städte gereist, hatten ihre Riten vollzogen und gegen Geld Prophezeiungen angeboten. In einer Stadt stahlen die Männer einen goldenen Pokal aus dem Tempel der Großen Mutter. Die Einwohner entdeckten den Diebstahl und machten sich auf, das gestohlene Gut zurückzuholen:
Schau, da überrennt uns plötzlich von hinten ein Haufen bewaffneter Reiter, die kaum die Galoppierwut ihrer Pferde zügeln und hitzig über Philebus und seinen Gefährten herfallen; sie werfen ihnen Stricke um den Hals, schimpfen sie Tempelschänder und Saukerle und schlagen dabei mit Fäusten auf sie ein. Auch legen sie noch allen feste Handschellen an und treiben siewieder und wieder mit drohenden Worten in die Enge: Heraus lieber mit dem goldenen Humpen, heraus mit diesem ihrem Sündenlohn! … Einer war sogar dabei, der mir die Hand auf den Rücken legte, mitten im Schoß der mir aufgeladenen Göttin herumsuchte, den goldenen Humpen fand und vor aller Augen ans Licht zog. … Während sie … zwecklos herumschwatzen, führen die Bauern sie nach hinten ab und stoßen sie sofort gefesselt ins Verlies. (
Der goldene Esel
9,9,3 – 10,4)
Das Volk war außerdem beteiligt an Aufständen, zu denen der häufige Nahrungsmangel führte, an Demonstrationen gegen lokale Magistrate während der Spiele, Wagenrennen und Gladiatorenkämpfe, an lokalem Parteienstreit über alles und jedes sowie an Konkurrenzkämpfen zwischen Städten. Das berühmteste Beispiel dafür ist der Aufstand im Jahr 59 n. Chr. nach einem Wettkampf zwischen Gladiatoren aus den benachbarten Städten Pompeji und Nuceria, den ich später (Kap. 8) ausführlicher behandle. Wenn ein Aufruhr wirklich außer
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