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Römischer Lorbeer

Römischer Lorbeer

Titel: Römischer Lorbeer Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Steven Saylor
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mich
auf einem Umweg zwischen den Lagerhäusern hindurch, die
teilweise so eng beieinander standen, daß ich mich seitlich
zwischen ihnen hindurchdrücken mußte, vorbei an Haufen
von Unrat, zwischen denen quiekende Ratten hin und her huschten,
und schließlich einen steilen Pfad den Westhang des Palatin
hinauf. Um potentiellen Attentätern auszuweichen, schien er
bestens geeignet, für einen Mann, der so viel getrunken hatte
wie Catull, war er jedoch voller Tücken. Ich erwartete,
daß er jeden Moment abstürzen, sich den Hals brechen und
mich mit in die Tiefe reißen würde, doch er
bewältigte den Aufstieg mit erstaunlich wenig Fehltritten. Der
Marsch schien ihn zu ernüchtern, und seine Lunge war auf jeden
Fall kräftig genug. Während ich mühsam nach Atem
rang, hatte er noch genügend Luft, um seinen Gedanken Ausdruck
zu verleihen.
    »Wenn wir nur
alle Eunuchen werden könnten!« proklamierte er.
»Welcher Mann könnte glücklicher
sein?«
    »Ich nehme an,
wir könnten Eunuchen werden, wenn wir
wollten.« 
    »Ha! Es ist
schwieriger, als du denkst. Ich weiß es, ich habe die Tortur
mit eigenen Augen mitangesehen. Als ich in Bithynien war, habe ich
eine Reise zu den Ruinen des alten Troja unternommen, um die Stelle
zu finden, wo mein Bruder begraben liegt. So weit weg von zu Hause!
Auf dem Rückweg fragte mich ein Fremder, ob ich mir die
Initiationsriten der Galloi ansehen wollte. Natürlich
verlangte er Geld. Er führte mich zu einem Tempel am Hang des
Berges Ida. Die Priester wollten ebenfalls Geld. Ich kam mir vor
wie ein schnöder Tourist, der in jede gierig ausgestreckte
Hand eine Münze drückt, bloß um den Geschmack des
›wahren‹ Orients zu erleben. Ich wurde in einen Raum
geführt, der von Weihrauch so vernebelt war, daß ich
kaum etwas erkennen konnte, und in dem der Lärm von
Flöten und Tamburins so ohrenbetäubend widerhallte,
daß ich fürchtete, taub zu werden. Der Ritus war in
vollem Gange. Die Galloi sangen und wirbelten in einem seltsamen
Tanz durch den Raum wie Finger der Göttin, die den Rhythmus
hielten. Der junge Novize hatte sich zu den Wellen der Musik in
Ekstase geschaukelt, nackt und schweißnaß. Jemand
drückte ihm eine Tonscherbe in die Hand -
›Töpferwerk aus Samos‹, flüsterte der
Führer mir ins Ohr, ›die einzige Sorte, die
Blutvergiftungen verhinderte Der Novize machte sich vor meinen
Augen selbst zum Galloi. Ganz alleine - niemand half ihm. Es war
ein denkwürdiger Anblick. Erst hinterher, als ihm das Blut an
den Beinen hinablief und er nicht mehr stehen konnte, umringten die
anderen ihn, schunkelnd, singend und kreischend. Der Führer
kicherte, stieß mir in die Rippen und tat, als würde er
seine Hoden schützen. Ich habe den Ort in Panik
verlassen.«     
    Catull verfiel
für eine Weile in Schweigen. Wir erreichten die Kuppe des
Hügels und betraten das Gewirr der dunklen, stillen
Straßen.
    »Stell dir die
Freiheit vor«, flüsterte Catull, »den
Gelüsten des Fleisches entronnen.«
    »Dafür
haben die Galloi andere Gelüste«, sagte ich. »Sie
essen wie echte Männer.«
    »Ja, aber ein
Mann ißt, wenn er Hunger hat, dann ist es vorbei. Der Hunger,
von dem ich spreche, nährt sich aus sich selbst heraus. Je
mehr er gestillt wird, desto stärker wird
er.«
    »Ein Römer
kontrolliert seine Gelüste, nicht umgekehrt.«
    »Dann sind wir
vielleicht keine Römer mehr. Zeige mir einen Mann in Rom, der
größer ist als seine Gelüste.«
    Darüber dachte
ich eine Weile nach, während wir durch die gewundenen, tief im
Schatten liegenden Straßen gingen.
    »Aber nicht
einmal eine Kastration garantiert ein Ende der Leidenschaft«, begann Catull
von neuem. »Man braucht sich bloß Trygonion
ansehen!«
    »Was ist mit
ihm?«
    »Weißt du
nicht, woher sein Name stammt? Aus dem berühmten Epitaph von
Philodemos.«
    »Sollte ich
diesen Namen kennen?«
    »Barbar!
Philodemos von Gadara. Wahrscheinlich der größte lebende
Dichter griechischer Sprache.«
    »Oh, der
Philodemos. Ein Epitaph, sagst du?«
    »Vor Jahren
geschrieben für einen toten Galloi namens Trygonion. Verstehst
du Griechisch?«
    »Ich werde es im
Kopf übersetzen.«
    »Nun
gut: 
    Hier liegt das
zarte Wesen, die Glieder schmächtig wie von einer Dame,
Trygonion, Prinz der Entmannten, taub für Eros.
    Der Großen
Mutter, Kybele, Geliebter Als einziger Galloi von einer Frau
verführt.
    Die heilige Erde
möge diesem Grabstein ein Kissen aus knospenden
weißen Veilchen schenken .
     
    Aus diesem alten
Gedicht hat unser

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