Roemisches Roulette
Nick lächelte, als ich ihm von unserem ersten köstlichen Abendessen in Rom erzählte; als ich von dem Meeting mit den Architekten von Rolan & Cavalli berichtete, stöhnte er und sagte mitfühlend: “Lieber Himmel, Baby.” Es tat gut bei ihm zu sein. Und doch konnte ich weder die Bilder von Roberto ignorieren, die vor meinem geistigen Auge aufblitzten, noch meine Frage vergessen:
Nick, was hast du gemacht, während ich fort war?
Kit saß die gesamte Fahrt über schweigend auf dem Rücksitz. Mehrfach versuchte ich, sie in die Unterhaltung mit einzubeziehen, aber sie lächelte nur – ein trauriges, resignierendes Lächeln, aus dem ich schloss, dass sie sich für mich schämte. Oder vielleicht dachte sie an ihre Mutter, an die Tatsache, dass der Kurzurlaub vorbei war und sie sich nun wieder mit den harten Realitäten ihrer Krankheit auseinandersetzen musste. Als wir sie bei ihrer Mutter absetzten – vor einer alten Mietskaserne in River Forest, die eher wie ein Motel aussah –, musste ich an das Haus denken, in dem beide vor dem Tod von Kits Dad gelebt hatten. Es lag ganz in der Nähe, nur einen Katzensprung von meinem Elternhaus entfernt. Es war ein großer, gepflegter Altbau aus dem 18. Jahrhundert mit einer riesigen Eiche mitten im Vorgarten.
“Danke Rachel”, sagte Kit zu mir. “Es war sehr schön.” Sie umarmte mich, mied Nicks Blick und ging schnell auf die Eingangstür zu.
Ich sah Nick an. Doch falls ihm Kits Verhalten merkwürdig vorkam, ließ er es sich nicht anmerken. “Bereit?”, fragte er und legte den ersten Gang ein. “Ich muss dir etwas zeigen.”
Wir verließen die Armitage Avenue und bahnten uns den Weg zur Bloomingdale Avenue – einer schmalen, mit Ziegelsteinen gepflasterten Straße im Westen der Stadt. Auf einer Seite der Gasse erhob sich der Steinwall einer alten Bahnstrecke, auf dem sich inzwischen Bäume, Büsche und eine reizende Auswahl an Unkraut angesiedelt hatten. Auf der anderen Seite standen einige Bungalows aus den Zeiten der Jahrhundertwende zwischen mehrgeschossigen Einfamilienhäusern, die nicht älter als fünf Jahre waren. Wir wohnten natürlich in einem der Bungalows.
Viele Einwohner Chicagos kannten die Bloomingdale Avenue überhaupt nicht. Auch ich hatte die Straße erst nach Jahren rein zufällig entdeckt. Wenige Wochen vor unserer Hochzeit machten Nick und ich einen Spaziergang. Wir waren erschöpft von den Vorbereitungen und nervös, ob wir alles noch rechtzeitig schaffen würden. An dem Tag wollten wir einfach nur raus. Es war ein kühler, aber sonniger Herbsttag. Wir schlenderten hier und dort entlang, sprachen über die Arbeit, unsere Familien, die Hochzeit und eine perfekte Sitzordnung. Irgendwann stolperten wir regelrecht über die Bloomingdale Avenue, die im orangefarbenen Licht der untergehenden Sonne wie eine Märchenstraße aussah.
Vor einem weißen Bungalow mit großzügiger Terrasse und einem Dach aus Zedernholzschindeln stand ein Schild mit der Aufschrift “Zu verkaufen”. Noch nie hatten wir eine solche Straße oder ein solches Haus gesehen. Wir sahen einander nur an und nickten. Irgendwie wussten wir Bescheid. Kaum wieder zu Hause, riefen wir den Immobilienmakler an und bereits einen Monat später war die Sache in trockenen Tüchern. Gerade noch rechtzeitig vor der Hochzeit.
Nick bog in die Gasse ein und parkte in der Garage hinter unserem Haus.
Er nahm meine Hand, und ich folgte ihm durch unseren winzigen Garten, in dem gerade die Narzissen zu blühen begannen, und dann die schwarzen Holzstufen hinauf ins Haus. Nick schaltete die Lichter ein, während er mich durch die Küche mit den modernen Schränken aus Glas und Holz hinunter in den Keller führte.
Auf der Treppe war es dunkel. “Nick?”, sagte ich und schwankte leicht beim Gehen.
“Okay, bleib da stehen.” Er ließ meine Hand los, und ich wurde unweigerlich von Angst gepackt.
Dann flammte das Licht auf. Ich blinzelte. Das war nicht unser feuchter Keller mit Kartons voll ausrangierter Kleider und Bücher und meinem in eine Ecke gequetschten Zeichentisch. Das hier war ein komplett anderer Raum.
Ich lief rasch die restlichen Stufen hinab und fuhr mit den Händen die Wände entlang. Vorher waren sie aus rauem Beton gewesen, doch jetzt in einem freundlichen Grasgrün tapeziert. Ungläubig betrachtete ich den Fußboden, der mit Strohmatten ausgelegt war, auf denen wiederum ein in Grün- und Orangetönen gehaltener Orientteppich lag. An der linken Wand stand ein Bücherregal, schwer
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