Roemisches Roulette
zum Teufel scheren.”
Nick folgte Sharons Rat und stürzte sich in die Arbeit. Seine Partner schlugen ihm eine Auszeit vor, doch er wollte davon nichts wissen. Einige seiner Patienten wechselten klammheimlich den Arzt, aber Nick sagte, auch das halte ihn nicht davon ab weiter zu praktizieren. “Ich
muss
arbeiten”, erklärte er mir. “Es ist wichtig für unsere Familie. Ich kann nicht einfach zu Hause bleiben.”
Derweil vertrieb ich mir die Zeit vor allem damit, Unmengen zu essen und das Kinderzimmer zu planen. Ich war wie besessen von Websites über Babymobiliar oder Babykleidung. Ich bestellte Windeln und Spucktücher, Bodys und Lätzchen und winzige, weiche Söckchen in Daumengröße. Ich wog die Eleganz eines viktorianischen Gitterbetts gegen die Zweckmäßigkeit eines zeitgenössischen aus Kiefernholz ab. Ich arbeitete mich durch Beschreibungen von Wickelkommoden und Wiegen. Ich benahm mich, als wären das die wichtigsten Dinge in meinem Leben. Und in gewisser Weise waren sie das tatsächlich. Nichts sollte wichtiger sein als mein Baby.
Meine Gynäkologin, eine Frau Mitte sechzig mit stechenden, grünen Augen, empfahl mir einen Gentest, um das Down-Syndrom und andere Gendefekte auszuschließen. Unser Baby bestand alles mit Bravour. Das erste ausgedruckte Ultraschallbild stand noch aus, doch ich sah das Baby bereits vor meinem geistigen Auge und wusste, dass es ein Mädchen werden würde. Ich war mir dessen so sicher, dass es mich selbst überraschte.
Allein die Anrufe von Sharon Pate unterbrachen meine Babyträumereien in regelmäßigen Abständen. “Haben Sie sich je mit Hector, dem Wachmann unterhalten?”, fragte sie mich eines Morgens, ohne eine Begrüßung vorauszuschicken.
“Ja, natürlich, aber nur Guten Tag und Hallo. Das Übliche halt.”
“Tja, sieht so aus, als hätte unser Hector recht ungewöhnliche
Interessen.”
“Was meinen Sie damit?”
“Der Computer in seiner Wohnung ist vollgestopft mit Pornos.”
“Ist das denn wichtig?”
“Na ja, jetzt noch nicht, aber es könnte uns noch nützlich werden und ihm das Genick brechen.”
“Ist das denn notwendig? Ich meine, er wird nur sagen, dass er sich nicht an Kit erinnern kann, sie aber vermutlich reingewinkt hat.”
“Er ist ein Puzzleteil in der Argumentationsführung der Gegenseite, Rachel. Wir müssen sie alle in einem schlechten Licht erscheinen lassen.”
“Wie sind Sie eigentlich in sein Haus gelangt?”
Sie lachte. “Das wollen Sie gar nicht wissen, glauben Sie mir.”
Sharon hatte recht. Ich wollte nichts Schlechtes über Hector wissen. Ich wollte niemanden in den Schlamassel hineinziehen, den Nick, ich und Kit verursacht hatten. Aber wenn ich eines aus den Ereignissen gelernt hatte, dann, dass die Handlungen einer Person sich niemals nur auf diese Person auswirken. Jede Aktion ruft eine Reaktion hervor, manchmal eine unbeabsichtigte, und manchmal hat diese Reaktion eben unbeabsichtigte Auswirkungen auf andere Menschen.
An jenem Nachmittag stand ich gerade im Fahrstuhl – ich hielt ein Paket in den Händen, das gerade angekommen war;
Baby It’s You!
stand darauf,
Ausgefallene Kleidung für das einzigartige Baby
–, als jemand seine Hand zwischen die sich schließenden Türen schob, sodass sie sich wieder öffneten.
Ich sah von dem Paket auf und lächelte den Mann, der hereinkam, höflich an. Ich schätzte ihn ein paar Jahre älter als mich. Sein schwarzes Haar war mit zu viel Gel zurückgekämmt und glänzte in der Fahrstuhlbeleuchtung. Er nickte mir kurz zu und stellte sich in die gegenüberliegende Ecke.
Dann schlossen sich die Türen, und der Fahrstuhl begann seinen Weg nach oben. Unsere Blicke kreuzten sich. Irgendetwas an seinem Profil kam mir bekannt vor – das markante Kinn und diese Nase, die direkt an seiner Stirn zu entspringen schien. Seit Wochen schwirrte mir dieses Profil im Kopf umher.
“Sawyer Beckman?”, fragte ich.
Er lächelte schwach. “Und Sie sind Rachel Blakely.”
Wir schauten beide weg, dann sahen wir einander erneut an.
Wieder versuchte Sawyer sich an einem Lächeln, aber irgendwie schien er etwas auf der Übung zu sein. Zwar säumten feine Krähenfüße seine Augenwinkel, und auch die Mundwinkel waren durch zwei klare Linien mit den Nasenflügeln verbunden. Dennoch wirkte seine Haut extrem glatt, seine Miene irgendwie starr – fast so, als hätte er sich erst vor kurzem einem Facelifting unterzogen. “Ich weiß nicht, was ich sagen soll”, meinte Sawyer.
“Sie müssen
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