Roen Orm 3: Kinder des Zwielichts (German Edition)
Schmerz. Janiel wollte sich abwenden, er konnte, er wollte dieses furchtbare Schauspiel nicht länger ertragen; doch da flammte ein Blitz über ihre Iris. Rynwolf erstarrte. Schnappte kurz nach Luft. Dann sank er lautlos in sich zusammen, und nur Janiels schnelle Reaktion bewahrte ihn davor, mit dem Kopf auf den Boden zu schlagen. Panik ließ sein Herz wie wild rasen, eine stählerne Faust schien seine Brust zusammenzudrücken. Wie konnte das möglich sein? Hastig suchte er den Körper seines Meisters ab, nach einem Puls, einem Atemzug, irgendetwas, das bewies, dass er noch lebte. Es schien eine Unendlichkeit zu dauern, bis er endlich den Herzschlag des Erzpriesters fand. Rynwolf lebte.
„Er schläft bloß für einige Minuten. Komm, wir haben wenig Zeit“, flüsterte Inani über ihm.
Zitternd vor Angst richtete Janiel sich auf.
„Das ist unmöglich!“, sagte er, schüttelte unentwegt den Kopf, als könnte er durch Verneinung die Wirklichkeit ändern.
„Ist es nicht. Dieses Eisen hier ist einfach nur eine Fessel, die meinen Körper bindet. Egal, wie viele Gebete ihr darauf sprecht, es ist und bleibt Eisen. Es kann meine Magie nicht unterdrücken.“
„Wie kann das sein? Seit Jahrhunderten...“
„... irrt man sich. Sieh her und lerne.“ Sie zwinkerte ihm zu, wandte dann den Blick zu der Eisenschelle an ihrer rechten Hand. Janiel fühlte ihre Magie fließen, er spürte tief in sich, wie sie das Energiegefüge der Welt veränderte und sah, wie der Verschluss sich löste. Einen Moment später war ihre Hand frei. Sie zitterte vor Anstrengung, Schweiß bedeckte ihren ganzen Leib, dennoch lächelte sie triumphierend.
„Für diese Übung braucht es Luftmagie, über die Pya-Töchter in der Regel nicht verfügen. Ich bin nicht sehr begabt auf diesem Gebiet, meine Stärken liegen in der Erde und im Feuer, aber es reicht aus.“
„Das kann nicht sein. Feuer ist das Element der Ti-Priester, keine Hexe kann über das Feuer befehlen!“ Regungslos sah Janiel mit an, wie Inani ihre zweite Hand befreite.
„Du bist zu klug, um dich auf den Lügen auszuruhen, die man dir ein Leben lang erzählt hat“, sagte sie spöttisch. „Du weißt es besser! Ich habe es in dir gesehen, sonst wäre ich nicht hier.“
„Wovon sprichst du? Wir haben dich gefangen genommen, überwältigt im Kampf!“ Noch während er diese Worte sprach, wusste Janiel bereits, dass sie nicht wahr sein konnten. Niemand hatte Inani besiegt. Niemand.
„Ich bin freiwillig gekommen, Janiel. Freiwillig in Roen Orm, freiwillig in dieser Folterkammer. Alles, was Rynwolf mir angetan hat, konnte er nur tun, weil ich es ihm gestattete.“
Inani stöhnte vor Schmerz und Anstrengung, die es sie kostete, die Eisenschellen zu lösen, dennoch hatte sie mittlerweile bereits Hände und ihren Kopf befreit.
„Ich verstehe das nicht. Wer sollte so etwas ... SO ETWAS! freiwillig auf sich nehmen?“, rief Janiel erregt und wies anklagend auf ihren zerschlagenen, geschorenen, gefolterten Leib.
„Ich“, erwiderte sie einfach, mit einem sanften Lächeln. „Die Frage muss lauten: Warum?“
Wimmernd zog sie sich hoch, schaffte es gerade noch, sich aufzusetzen.
„Glaub mir, angenehm ist es nicht.“
Zögernd griff er nach ihrem Arm, um sie zu stützen.
„Inani, warum bist du hier? Warum hast du dich gefangen nehmen und foltern lassen, wenn du offenbar fähig bist, dich jederzeit zu befreien? Wie ist es möglich, dass du dich
überhaupt befreien kannst? Was willst du von mir?“ Die Fragen stürzten nur so aus Janiel heraus.
„Dich. Ich will dich. Ich bin deinetwegen gekommen, Janiel. Deinetwegen durfte Rynwolf mit mir spielen. Möglich ist es, weil jede Tochter der Dunkelheit, die über genug Luftmagie verfügt, sich aus den Schellen befreien kann, so einfach ist das. Um genau zu sein, in den letzten Jahrhunderten habt ihr zumeist bloß bedauernswerte Töchter des Lichts gefangen nehmen können. Magisch begabte Frauen, die es nicht in die Gemeinschaft der Hexen geschafft haben, entweder, weil sie nicht die notwendige Prüfung bestanden haben, oder weil sie tatsächlich von Ti statt von Pya gesegnet wurden. Das kommt vor.“ Inani löste die Fußfesseln. Sie war nun frei, versuchte allerdings gar nicht erst zu fliehen, sondern legte sich mit Janiels Hilfe wieder zurück auf das Brett, drehte sich dabei mit schmerzverzerrtem Gesicht und tiefem Stöhnen auf die Seite, um ihren verletzten Rücken zu schonen.
„Einige schwache Pya-Töchter waren auch dabei, das leugne ich nicht.
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