Roen Orm 3: Kinder des Zwielichts (German Edition)
Gottesdienste genutzt wurde. Am liebsten hätte sie ihn umarmt und nie wieder losgelassen …
„Los jetzt, ich dachte, wir wollen draußen spielen!“, rief Corin ungeduldig und riss die schwere eisenbeschlagene Tür auf. Inani schob ihren Gefangenen voran, drängte ihn, schneller zu gehen.
„Wenn ich es sage, fang an zu kämpfen und um Hilfe zu schreien, so laut du kannst“, sagte sie. Er warf einen Blick über die Schulter, der zwischen gereizter Ungeduld und Belustigung schwankte. Die Belustigung überwog; Inani zwinkerte ihm zu und trieb ihn unerbittlich weiter.
Ungehindert schafften sie es die Treppen hinauf bis in den Altarraum des Tempels. Hier trafen sie auf die ersten Sonnenpriester, die bei dem Erscheinen der drei Hexen und dem um sich schlagenden, totenbleichen Priester in ihrer Gewalt erstarrten.
„Jetzt“, wisperte Inani, küsste zärtlich sein Ohr – wer wusste schon, ob er ihr jemals wieder so nahe kommen würde? Gehorsam kreischte Janiel los, schrie anhaltend um Hilfe und zog damit weitere Priester an. Schwungvoll stieß Inani ihn von sich, er stolperte in die Arme seiner Brüder.
Die Freundinnen schauten sich kurz an, nickten einander zu. Dann rasten sie los.
Binnen weniger Herzschläge steckte Inani wie gewöhnlich im dichtesten Getümmel. Befreit brüllte sie auf, als die Erregung des Kampfes durch ihre Adern floss und alle Gedanken, Ängste, Sorgen und Erinnerungen hinweg gespült wurden. Sie fegte wie eine entfesselte Sturmbö durch die Reihen ihrer Angreifer, trat und schlug mit Armen und Beinen, schnell, hart, konzentriert. Corin folgte in der Schneise, die ihre Seelenschwester schlug, wich jedem Schlag aus, einzig darauf konzentriert, einen Weg zu finden, bei dem sie weder verletzt noch gefangen genommen wurde – zwei Schritte hinter Inani war sie da einfach am sichersten. Kythara hielt sich etwas abseits von ihnen. Sie kämpfte mit zwei Waffen gleichzeitig, die mehr als ungewöhnlich waren: Kythara hatte sie in liebevoller, mühsamer Kleinarbeit selbst geschaffen. Sie sahen wie gewöhnliche Dolche aus, aber sobald sie die Waffen aus den Scheiden zog, fächerten sie auf Fingerdruck an eine bestimmte Stelle am Heft auseinander. Aus einer einzelnen breiten, beidseitig scharf geschliffenen Klinge wurden drei schmale, deren Spitzen leicht gekrümmt waren – wie Vogelkrallen. Mit ihren Rabenklauen, wie sie ihre persönlichen Waffen nannte, konnte sie grässliche Wunden schlagen, die fast immer zum Tod führten. Die Priester sprangen schreiend aus ihrer Reichweite, sobald sie dem ersten Unglücklichen Arme und Brust zerfetzt hatte. Sie versuchten alle drei, sich nicht in Einzelkämpfe verwickeln zu lassen, denn bei den Massen an Gegnern, die nun auf sie einstürmten, bedeutete Stillstand den sofortigen Tod. Sie rannten in Höchstgeschwindigkeit durch den Tempel, schlugen Waffen beiseite, verharrten allenfalls kurze Augenblicke, um sich zu verteidigen, wenn mehrere Priester sie einzukreisen und zu Fall zu bringen versuchten. Sie schafften es durch den Tempelraum und stürzten sich ins Freie. Inani lachte auf, als ihr die Wiederholung der Ereignisse kurz in den Sinn kam. Es war noch nicht allzu lange her, dass sie sich auf ähnliche Weise durch einen Ti-Tempel hindurch gekämpft hatte und im Innenhof gelandet war. Allerdings war es da tiefe Nacht gewesen, und im Hof hatte lediglich ein einziger fähiger Krieger auf sie gewartet. Hier lauerten Scharen von den besten und mächtigsten Priestern der gesamten Welt, und sie hatten Zeit gehabt, sich auf die Hexen vorzubereiten.
„Schützt euch, Brüder!“, hallte es über den von hohen Mauern umgebenen, etwa dreihundert Rechtschritt großen Hof. Inani nahm sich nicht die Zeit nachzusehen, welche Gefahr vielleicht auf sie zukam, sondern trennte sich von ihren Gefährtinnen und sprang so rasch wie möglich zur Seite. Energieblitze streiften Inanis Rücken, als sie sich über die Schulter abrollte, wieder auf die Füße kam und sofort weiter hetzte. Sie wagte nicht, nach Corin zu sehen, vertraute darauf, dass die Priester bei einem Treffer laut jubeln würden. Im Moment hörte sie nur wütende Schreie, das Stöhnen der Verletzten und knappe Kommandos. Alles war gut. Um Kythara machte sie sich keine Gedanken, eher waren ihre Gegner zu bedauern. Jetzt musste sie nur noch Corin beschützen, dann würden sie diesen Wahnsinn eventuell sogar überleben.
„Kythara, jhem shurmya nin! NIN!“, brüllte sie in das Chaos hinein. Sie wusste, keiner der Priester
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